Die Braut des Kreuzfahrers
Lager trug. Alle Hoffnung auf Genesung wurde jedoch durch das heimtückische Wundfieber zunichtegemacht. Im Beisein seines Sohnes verschied Rotrou IV . von Perche nach tagelangem, quälendem Siechtum, untröstlich darüber, dass Gott der Herr ihm versagte, das heilige Jerusalem zu befreien und am Grab Christi zu beten. Indes war er wohlversehen mit den Sakramenten der Kirche gestorben, und da er im Kampf für die Sache der Christen sein Leben ließ, konnte er hoffen, dereinst am Jüngsten Tag ins Paradies einzugehen.
Mitleidig betrachtete Tiessa den Grafen Gottfried, der hochaufgerichtet und mit seltsam steifen Schritten den beiden Knechten folgte, die den Körper seines Vaters auf einer Bahre vorantrugen. Als ältester Sohn war er nun Rotrous Nachfolger auf dem Grafenthron, zugleich Anführer der kleinen Ritterschaft, die aus dem Perche ins Heilige Land gezogen war. Es hieß, der junge Graf habe Tag und Nacht am Lager seines Vaters gesessen und kein Auge geschlossen, auch in der vergangenen Nacht die Totenwache gehalten und sich noch keine Stunde Schlaf gegönnt. Tiessa war nahe daran, diese Reden zu glauben, denn trotz der Sonnenbräune, die allen Kreuzfahrern zuteilgeworden war, erschien ihr Gottfried von Perche ungemein bleich. Während sie langsam hinter Yolanda herging, suchte sie zwischen den Trauernden ihren Vater und lächelte ihm zu, als sie ihn entdeckte. Jean erwiderte ihren Gruß nur durch ein leichtes Kopfnicken, dann blickte er wieder mit trüben Augen vor sich hin. Der Ministeriale Jean Corbeille hatte dem Grafen Rotrou viele Jahre lang treu gedient. Der Tod seines Herrn traf ihn schwer und fügte sich wie ein düsterer Schatten zu all den übrigen Kümmernissen, die sein Leben überschatteten. Mit seltsam wiegendem Schritt folgte Tiessas Vater dem Leichenzug, ein Zeichen dafür, dass seine Verletzung keineswegs ausgeheilt war.
Tiessa teilte die tiefe Trauer ihres Vaters nicht. Gewiss – der Graf war ein tatkräftiger Herr gewesen, der zwar nicht immer glückhaft regiert hatte, aber dennoch bei Fürsten und Königen hoch angesehen war und von seinen Untertanen geachtet wurde. Geliebt hatte man den allzu gestrengen und oft jähzornigen Herrn jedoch nicht. Tiessa, die bei der Nachricht, der Graf von Perche sei gefallen, zuerst geglaubt hatte, es handele sich um Gottfried, war zutiefst erleichtert, als sie erfuhr, dass es der alte Graf von Perche war, der mit dem Tode rang. Wie seltsam – eigentlich war sie ärgerlich auf Gottfried von Perche gewesen, der sie so zornig getadelt hatte, doch als sie ihn tot glaubte, verspürte sie einen heftigen Schmerz. Sie hatte sogar heimlich geweint, genauso, als sei ihr Vater oder jemand anders, der ihr sehr nahestand, aus dem Leben geschieden.
Die Ritter, die den Trauerzug begleiteten, trugen Kettenhemd und Schwert. Auch die Knechte waren bewaffnet, da es nicht ganz ungefährlich war, das sichere Lager zu verlassen. Saladin schickte immer wieder seine Kämpfer aus, um die Verteidiger von Akkon durch Angriffe auf das Lager der Christen zu entlasten. Man wusste nie, wann diese Teufel hinter den sandigen Hügeln oder am Ufer des Meeres auftauchen würden, um sich mit flatternden Gewändern und erhobenen Säbeln auf die Franken zu werfen. Und doch hatte Tiessa inzwischen erfahren, dass die gleichen Männer an manchen Abenden mit höchst friedfertigen Absichten über den Wall ins Lager kletterten und gemeinsam mit ihren christlichen Gegnern im Viertel der Huren mancherlei Vergnügungen nachgingen. Es war schwer zu glauben, doch die Magd Marie hatte ihr hoch und heilig geschworen, dass es die Wahrheit sei.
» So sind sie nun einmal, die Ritter. Christen oder Muselmanen, da gibt es keinen Unterschied. Heute sitzen sie miteinander beim Würfelspiel, teilen sich ein Weibsstück und tauschen Geschenke aus – morgen ist Krieg, und sie schlagen einander tot. «
Der Ort, an dem die Kreuzritter ihre Toten begruben, war ein Stück weit vom Lager entfernt, eine unwirtliche, sandige Ebene, in der wohl sehr viel mehr Opfer des Kreuzzugs ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, als die aufgeschichteten Steine kundtaten. Tiessa hatte mit Beklommenheit vernommen, wie schlimm es den Belagerern während der vergangenen beiden Jahre ergangen war, wie viele der Ritter und Knechte, die von so weither gekommen waren, um gegen die Heiden zu kämpfen, an scheußlich entstellenden Krankheiten ruhmlos gestorben waren.
Als man sich vor dem frisch ausgehobenen Grab versammelte, entdeckte
Weitere Kostenlose Bücher