Die Braut des Kreuzfahrers
ergreifen. Immer wenn ihr die Lider sanken und sie in die lockende dunkle Tiefe gleiten wollte, riss sie eine jähe Angst wieder daraus empor.
So auch jetzt, da sich die Pforte des Hauses öffnete und der Schein einer Laterne auf den Hof fiel. Das gelbliche Licht glitt über die schlafenden Frauen hinweg, strebte schwankend hierhin und dorthin und blieb schließlich an Tiessa hängen. Ihr Herz hämmerte – es war so weit. Ihr Schicksal würde sich erfüllen. Blinzelnd erkannte sie, dass es ein Knabe war, der die Laterne trug, er musste sich mächtig anstrengen, um das Licht hoch genug zu halten. Hinter ihm war die dunkle Gestalt eines erwachsenen Mannes zu erahnen. Er wirkte im Vergleich zu dem Knaben sehr groß und einschüchternd, was möglicherweise damit zu tun hatte, dass er einen Turban trug.
Sie blieb unbeweglich sitzen, als der Mann mit langsamen Schritten an dem Knaben vorbei auf sie zuging – was sollte sie sonst tun, da es keine Möglichkeit zur Flucht gab? Für einen Augenblick überlegte sie, dass es klug wäre, die schlafende Dinah zu wecken, doch sie ließ es sein. Was auch immer jetzt geschah, sie konnten es ohnehin nicht verhindern, und jede Sekunde der süßen, ahnungslosen Ruhe war kostbar.
Der Mann stieg über die schlafenden Klosterfrauen hinweg, und erst als er schon dicht vor ihr stand, erkannte sie ihn. Kaltes Entsetzen erfasste sie – welche Sünde hatte sie begangen, dass Gott sie ausgerechnet diesem Menschen auslieferte? Sie hatte weder Milde noch Gnade von ihm zu erwarten.
» Wie heißt du? «
Es klang hart und verachtungsvoll, ähnlich der Sprechweise eines Richters, dem ein Delinquent Rede und Antwort stehen musste. Aber immerhin sprach er fränkisch. Vermutlich hatte man ihn deshalb auch als Unterhändler zu Richard Löwenherz geschickt. Durch welches Wunder er dem Massaker wohl entkommen war?
» Tiessa. «
Er hatte den gleichen Blick, den sie bei allen muselmanischen Männern gespürt hatte, durchdringend und mit unverhohlener Begierde. Genauso hatte er sie auch damals im Lager der Kreuzfahrer angestarrt, als sie neben Yolanda und Beatrice stand, um die drei mutigen Unterhändler zu bestaunen, die die Stadt Akkon zu Richard Löwenherz gesandt hatte.
» Tieee … ssa … «
Er zog das Wort in die Länge, ließ es mit dunkler, leicht gebrochener Stimme nachklingen, als spüre er den Geschmack ihrer Haut bereits auf der Zunge.
» Eine Fränkin? Wie ist dein Stand? Bist du eine Adlige? «
Sollte sie lügen? Vielleicht würde er sie dann verschonen, um sie gegen eine vornehme muselmanische Gefangene auszutauschen? Aber irgendwann würde der Schwindel auffliegen …
» Ich bin die Tochter des gräflichen Verwalters. «
Er zog die schwarzen Augenbrauen zusammen, sodass sie zu einem waagerechten Strich wurden, und musterte sie dabei aus schmalen, dunklen Augen. Schatten bewegten sich über sein Gesicht, die scharfe Nase ließ Tiessa an einen Raubvogel denken, der gleich auf sie herabstoßen würde.
» Wer ist der Herr, dem dein Vater dient? «
Sie spürte, dass Dinah jetzt erwacht war, und streckte vorsichtig die Hand aus, um sie der Freundin auf die Schulter zu legen. Sei ruhig, bedeutete diese Geste. Sei ruhig, es geschieht nichts Schlimmes. Noch nicht …
» Es ist Graf Gottfried von Perche. «
Er schien diesen Namen schon gehört zu haben, denn es zuckte um seine Lippen.
» Wo ist er jetzt, dein Herr und Gebieter? «
Sie zögerte, dann entschloss sie sich, die Wahrheit zu sagen. Weshalb hätte sie lügen sollen – sie hatte von Gottfried von Perche keine Hilfe zu erwarten.
» Ich weiß es nicht. «
Der Blick des Sarazenen wurde schwer, lastete auf ihr wie eine harte Hand, die sie zu Boden drücken wollte.
» Bist du eine Jungfrau oder eine Hure? «
Fassungslos sah sie ihn an, fand keine Antwort auf diese unverschämte Frage, dann bemerkte sie, dass er lächelte. Es war das zufriedene Lächeln eines Mannes, der gefunden hatte, wonach er suchte. Er nahm dem Knaben die Laterne aus der Hand und sagte zwei Worte in seiner eigenen Sprache zu ihm. Der Junge zog ein Messer aus dem Gürtel.
» Steh auf! «
Er griff ihr unbefangen unter die Achsel, denn er sah, dass sie Mühe hatte, sich mit den gefesselten Händen zu erheben. Als sie vor ihm stand, spürte sie den Druck des Messers, das den Strick an ihren Handgelenken zerschnitt. Die Kühle der Messerklinge, die ihre Haut berührte, fühlte sie nicht, weil ihre Hände taub waren.
» Folge mir! «
Langsam und mit
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