Die Braut des Kreuzfahrers
sie ein menschliches Bedürfnis, das sie nur ungern in der engen Kammer befriedigen mochte.
Wollte man sie etwa hier in diesem Loch verschmachten lassen? Nur das Ziegengemecker war zu hören, die Hühner, gurrende Tauben und Vogelgezwitscher. Hin und wieder helle Kinderstimmen, der Ruf einer Frau, ein kurzes Lachen, dann wieder eifriges Schelten. Die scheltende Stimme war kräftig, tiefer als die anderen und ähnlich dem Krächzen eines Raben. Wer auch immer da herumnörgelte, sie schien die unangefochtene Herrin zu sein und ließ es die anderen spüren.
Es klang nach Alltag, nach dem ganz normalen Leben auf einem Bauernhof. Jeder ging seiner Arbeit nach, und die Hausherrin waltete ihres Amtes. Tiessa setzte sich auf die Körbe und starrte auf den gestampften Lehmboden, auf dem an einigen Stellen die Abdrücke bloßer Füße zu sehen waren – hier auf dieser Burg war doch alles friedlich, und auch sie hatte nicht vor, irgendjemandem ein Leid zuzufügen. Weshalb also hielt man sie in diesem Loch gefangen wie ein Stück Vieh? Gut, sie war eine Christin, aber was bedeutete das schon zwischen Ziegen und Hühnern hier oben in den Bergen?
» Macht endlich die Tür auf! «
Nichts regte sich auf der anderen Seite. Ärgerlich stand sie auf und schlug mit der Faust gegen das Holz, trat mit den Füßen, dass die Tür in ihren Angeln erzitterte. Umsonst. Man hatte also doch beschlossen, sie in dieser düsteren Rumpelkammer verschmachten zu lassen.
» Ich will hier raus! «
Der letzte wütende Tritt schadete ihrem Fuß mehr als der wackligen Pforte. Keuchend gab sie auf und setzte sich auf den Lehmboden, um ihre lädierten Zehen zu untersuchen. Als der Schmerz nachließ, kam sie sich lächerlich vor. Wer auch immer auf der anderen Seite der Tür ihren Wutanfall gehört hatte, er musste ein hämisches Vergnügen dabei verspürt haben.
Na wartet, dachte sie zornig. Ich bin nicht so einfältig, wie ihr glaubt.
Zwischen den alten Töpfen hatte sie einen Stock bemerkt, der wohl einst eine Hacke gewesen war, um den Boden damit aufzulockern, nun aber war der obere, gebogene Teil abgebrochen. Sie nahm das gute Stück an sich, blies den Staub herunter, hustete und ging damit zur Pforte. Sie war aus einfachen Brettern zusammengenagelt und wie alles hier in diesem Kabuff schon ziemlich windschief. Sie presste den Fuß gegen die untere, linke Ecke, sodass sich die Bretter nach außen bogen und ein Spalt entstand, durch den sie mit einiger Mühe den Stock schieben konnte. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass der Stock wenigstens für ein Weilchen halten würde, denn wenn er gleich zerbrach, während sie die Tür aufhebelte, war alles umsonst. Das Holz der Tür ächzte und knackte, die Mauer bröselte, aber der Spalt erweiterte sich. Sie stemmte den Fuß gegen die Tür, um den Stock weiter nach oben zu schieben, und erst zu spät fiel ihr ein, dass es klüger gewesen wäre, ein Stückchen Holz oder einen Stein als Keil zu benutzen. Doch sie kam voran, der Spalt wurde breiter, gleich würde sie den Riegel gesprengt haben. Ausgerechnet jetzt schwächelte der dumme Stock, ein Riss war im Holz entstanden, der sich immer weiter fortsetzte.
» Halt noch ein wenig aus « , flüsterte sie. » Gleich ist es geschafft … «
Sie schwitzte vor Anstrengung, schob den Stock noch ein wenig höher. Er war jetzt nur noch um Ellenbogenlänge von der Stelle entfernt, wo der Riegel sitzen muss.
Es gab einen dumpfen Knall, als der hölzerne Riegel brach, die Tür flog auf und schlug auf der anderen Seite gegen die Wand. Tiessa, die den Fuß dagegengestemmt hatte, fiel vornüber und landete auf allen vieren, umgeben von einer gewaltigen Staubwolke.
Als sich die Staubpartikel langsam wieder zu Boden senkten, erkannte Tiessa dicht vor sich zwei dunkel gekleidete Gestalten. Die eine war groß wie ein Berg, die andere hatte die Form einer Zypresse, beide starrten in stummem Entsetzen auf die vor ihnen hockende Tiessa.
» Verzeihung … « , stammelte sie.
Sie erhielt keine Antwort. Wie auch – die beiden Frauen verstanden ganz sicher kein Fränkisch. Mit welch großen Augen sie sie ansahen. Als sei sie ein Geist oder eine Erscheinung des Bösen.
Tiessa entschloss sich, vorsichtshalber erst einmal zu lächeln. Es wirkte Wunder, zuerst verzog die kräftige Frau die Lippen, dann lächelte auch die andere. Sie waren beide unverschleiert und hatten junge Gesichter von jener fremdartigen Schönheit, die so manche Kreuzfahrer an den Frauen der Sarazenen
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