Die Braut des Kreuzfahrers
dabei ab. Schließlich trommelte sie mit den Fäusten gegen das Holz.
» Hab keine Angst, Dinah. Sie bringen uns ganz sicher an die Küste, um uns gegen andere Gefangene auszutauschen … Dinah! Dinah … «
Draußen waren jetzt kräftige Männerstimmen zu hören, die Befehle in einer fremden Sprache brüllten, auch vernahm sie das Geräusch von zahlreichen Pferdehufen, meckernde Ziegen, gackernde Hühner, irgendwo kläffte ein Hund, und ein Säugling schrie aus Leibeskräften. Dinahs Antwort ging in diesem Lärm unter. Eine Weile wartete sie darauf, dass jemand die Tür der Kammer öffnete, denn sie glaubte, gemeinsam mit den anderen fortgebracht zu werden. Als sie kurz darauf die Hufschläge der sich entfernenden Reitergruppe vernahm, begriff sie, dass sie allein zurückbleiben würde.
» Leb wohl, Dinah « , murmelte sie, das heiße Gesicht gegen die Tür gepresst. » Gott beschütze dich, meine Freundin. Gott und Allah – sie mögen beide die Hand über dich halten, denn du bist ein guter Mensch … «
Sie weinte leise, damit es niemand hören konnte. Bei allem Schrecklichen, das ihnen seit gestern widerfahren war, hatte es doch den Trost gegeben, nicht allein zu sein. Nun aber war sie ganz und gar einsam und von allen ihren Freunden getrennt. Sie lehnte den Rücken gegen die Mauer und blinzelte durch die Tränen hindurch in den Streifen Sonnenlicht, der sogleich in farbige Schleier zerfiel. Was würde nun mit ihr geschehen? Aus welchem Grund hatte der Burgherr sie hier eingeschlossen, während die anderen Frauen fortgebracht wurden? Voller Abscheu besah sie die Spinnweben, die in den Ecken aufgespannt waren und deren Besitzerinnen geduldig in ihrem Versteck auf Beute warteten. Die Mauern waren grob und unverputzt, der Fußboden bestand aus gestampftem Lehm, halb zerbrochene Töpfe, löchrige Weidenkörbe und zerrissene Säcke lagen umher. Das Schlimmste war jedoch die Enge – knapp drei Schritte in der Länge, zwei in der Breite, mehr war es nicht. Langsam und hinterhältig stieg eine längst vergessene Panik in ihr auf. Der dunkle, kleine Vorratsraum im Haus der Eltern, der Geruch von Äpfeln und Geräuchertem, die verschlossene Tür, gegen die sie in hilfloser Angst mit beiden Fäusten hämmerte. Sie war hinter der Magd hergelaufen, ohne dass die Frau die Dreijährige bemerkt hätte, und versehentlich eingeschlossen worden. Erst nach einer Ewigkeit erlöste sie die Mutter aus dem Gefängnis, selbst erschrocken, da man die Kleine überall gesucht hatte. In dieser Nacht – daran erinnerte sie sich noch genau – schlief sie zwischen den Eltern, und die Kerze durfte nicht gelöscht werden …
Sie atmete tief, um die lähmende Angst zu bezwingen. Weshalb regte sie sich auf? War sie vielleicht in einem dunklen Keller eingeschlossen? Es fiel immerhin Licht in ihr Gefängnis, sie vernahm Geräusche und der Tag lag vor ihr. Vielleicht war es ja ein gutes Zeichen, dass man sie hiergelassen hatte. Die Männer waren in den Kampf geritten, vermutlich auch der Burgherr – sie brauchte also keine Sorge mehr zu haben, dass jemand zu ihr hineinkam, um sie zu vergewaltigen und anschließend zu töten.
Sie lauschte an der Tür, doch außer dem Gackern der Hühner und dem Weinen des Säuglings war nichts zu hören. Das Fensterchen war ziemlich hoch angebracht, sodass Tiessa es nicht erreichte, selbst wenn sie sich auf die Zehen stellte. Also stülpte sie mehrere Körbe übereinander, hielt sich mit beiden Händen an der Mauer fest und kletterte auf den schwankenden Stapel. Der Ausblick war wenig aufschlussreich. Ein Stück eines verfallenen Gebäudes aus gelben Steinen, davor ein von den Ziegen entblätterter Busch, darüber viel blauer Morgenhimmel. Nur einmal ging eine Frau im schwarzen Umhang vorüber, doch sie war so schnell wieder verschwunden, dass Tiessa ihre Gesichtszüge nicht hatte erkennen können. Sicher war nur, dass es nicht die Alte gewesen war, die ihnen in der Nacht zu trinken gegeben hatte.
Die Körbe unter ihr knackten bedenklich, und sie sprang rasch hinunter, bevor das Zeug unter ihr zusammenbrach. Das Schlimmste bei allem war die Unsicherheit. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was mit ihr geschehen würde, und es war auch niemand da, der sie darüber aufklären wollte. Wie spät mochte es sein? Vermutlich schon um die Mitte des Morgens, man hörte es am intensiven Summen der Insekten, auch das heller werdende Sonnenlicht deutete darauf hin. Sie war durstig und auch hungrig, außerdem plagte
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