Die Braut des Kreuzfahrers
schmutzig aussahen, während die Städte des Heiligen Landes selbst in der kalten Jahreszeit hell und schön erschienen. Wie groß diese Stadt war. Stolz breiteten sich Gebäude und Straßen vor den Augen der Reisenden aus, in ihrer Mitte thronte die rechteckige, von dicken Türmen gesäumte Zitadelle, der Wohnsitz des Herrschers. Wimmelndes Leben war dort unten in den Straßen und auf den Plätzen. Auf dem Fluss, der die Stadt blinkend durchzog, schwammen Fischerboote und kleine Segelschiffe, und die Stadtmauer, in der sich Turm an Turm reihte, kündete von Wohlstand und Macht.
» Damaskus « , sagte jemand neben ihr in bitterem Ton. » Wie eine glänzende Braut liegt sie im Tal, schmiegt den Rücken gegen die Berge und lockt den Fremden mit tausend zärtlichen Versprechungen. Erst wenn man dort unten im Sumpf der Gassen versinkt, begreift man, dass diese stolze Schöne nichts weiter als eine verdammte Hure ist. «
Es war der alte Mann, der bisher nur mit seiner Enkeltochter geflüstert hatte. Er kniete neben den anderen Sklaven, der Wind ließ sein dünnes graues Haupthaar flattern, und sein Gesicht war in Abscheu verzerrt. Seine Enkelin konnte ihn nur mit Worten trösten, sie war an Tiessa gefesselt, und es war ihr unmöglich, zu ihrem Großvater hinüberzugehen, um ihn in die Arme zu nehmen. Tiessa war beklommen zumute, und sie fragte sich, welches schlimme Schicksal diesen klugen und beredten Menschen wohl in diese unglückselige Lage gebracht hatte. Plötzlich war all ihre Begeisterung für die prächtigen Bauten verschwunden. Sprach er nicht die Wahrheit? Dort unten in dieser faszinierend schönen Stadt erwartete auch sie ein ungewisses Los.
Sei du mir gnädig, Herr Jesus Christus, flehte sie in Gedanken.
An die Heilige Jungfrau mochte sie ihre Gebete nicht richten, das hatte sie früher getan, als sie noch rein und unschuldig war. Inzwischen hatte sie bei einem Mann gelegen, wenn auch nicht freiwillig, so doch ohne die Abscheu, die eine gute Christin vor der Sünde haben sollte.
Der Aufenthalt auf dem Hügel dauerte nur kurze Zeit. Gleich nachdem das Mittagsgebet verrichtet war, stieg die Karawane ins Tal hinab. Für Selim und seine Männer war es ein Heimkehren in bekannte Gefilde, sie schwatzten mit dem Torwächter, blieben hie und da stehen, um Bekannte zu grüßen, man fragte sie nach dieser oder jener Ware, und auch die gefesselten Sklaven wurden mit neugierigen Augen gemustert. Tiessa hatte schon in den Burgen und Ortschaften die begehrlichen Blicke der Männer verspürt, aber hier war es direkter, gefährlicher. Man taxierte die beiden Sklavinnen während sie vorübergingen, die einen machten Scherze, die anderen wiegten abschätzend die Köpfe, wieder andere versuchten sogar, sie zu berühren. Doch die Sklavenhändler passten gut auf, und so mancher Passant rieb sich nach einem kühnen Griff die schmerzenden Finger.
Selim hatte nicht vor, für seine Sklaven ein teures Nachtquartier samt Verpflegung zu zahlen, deshalb teilte sich die Karawane, schon kurz nachdem man das Stadttor durchschritten hatte. Mehrere seiner Angestellten brachten die Waren zu einem Lagerhaus, während er selbst mit zwei Helfern die Sklaven durch die Gassen der Stadt zum Markt führte.
» Du musst deinen Geist von deinem Körper trennen « , vernahm Tiessa zu ihrer Überraschung die Stimme der jungen Frau. » Nur wenn dir das gelingt, wirst du überleben. «
Tiessa war nicht froh über diesen Rat, der ihre Angst noch steigerte. Überhaupt war es seltsam, dass diese junge Person, die den ganzen Weg über kein einziges Wort an sie gerichtet hatte, ihr jetzt auf einmal Ratschläge erteilte.
» Bist du schon einmal auf solch einem Markt gewesen? «
Ihre Mitgefangene hörte sie nicht, weil der Lärm und das Gedränge um sie herum jetzt überhandnahmen. Sie wollte wohl auch nichts hören, denn Tiessa stellte fest, dass ihre Miene starr war und die Augen erschreckend leer. Sie hatte ihren Geist auf eine Reise geschickt, um ihn vor dem Schrecklichen, das nun folgen würde, zu bewahren. Nur ihr Körper war anwesend, eine leere Hülle, die Schmerzen und Demütigung gleichgültig hinnahm.
Tiessa beneidete sie, ihr selbst wollte ein solches Kunststück nicht gelingen. Stattdessen drang die grausame Wirklichkeit von allen Seiten auf sie ein, und sie wusste kein Mittel dagegen. Man hatte ihr von Sklavenmärkten in Afrika erzählt, auch hatte sie in Marseille Schiffe gesehen, die von schwarzen Sklaven gerudert wurden, doch in den
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