Die Braut des Kreuzfahrers
hörte den Gesprächen zu und bemühte sich, niemandem ins Gesicht zu sehen. Weder den Kummer des Vaters noch Corbas zärtliche Besorgnis konnte sie jetzt ertragen, auch nicht Jordans mitleidige Blicke und Millies heimliche Häme schon gar nicht. Es war die erste Enttäuschung ihres jungen Lebens, und sie war abgrundtief, ließ kein Licht und keine Freude mehr übrig.
Sie verschloss ihren Kummer, wollte den Schmerz ganz allein für sich haben, denn das war alles, was ihr von ihrer Liebe geblieben war. Tagsüber tat sie ihre Arbeit und bemühte sich, unbefangen und fröhlich zu erscheinen. Es kam ihr manchmal so vor, als schwebe sie mit lachender Miene über einem dunklen Abgrund dahin. In den Nächten, wenn sie allein in der kleinen Kammer lag, sank sie tief hinunter in ihren Jammer, und die Flammen der Verzweiflung wollten sie verbrennen. Sie war zu glücklich gewesen, deshalb hatte Gott sie gestraft. Ihre Ahnung hatte sich bewahrheitet, ein solches Glück konnte nur sündig sein. Doch die Erkenntnis konnte den Schmerz nicht lindern. Hinterhältig schlich sich immer wieder die Hoffnung in ihr Gemüt, Ivo würde in wenigen Tagen zurückkehren, um alles aufzuklären. Dann würde man ihm Abbitte leisten müssen, und er würde um sie werben.
» Wenn sie doch nur weinen könnte « , hörte sie die Mutter nebenan leise flüstern. » Dann wäre der Kummer heraus, und sie könnte endlich vergessen. «
Sie presste beide Hände auf die Ohren und drehte sich zur Wand, denn sie wollte nicht wissen, was der Vater darauf antwortete. Sie konnte nicht weinen, wozu auch? Der Schmerz saß in ihrer Brust wie ein lebendiger Dämon, und sie nährte ihn mit immer neuen, kummervollen Gedanken.
Am Fest Allerheiligen stiegen die Stadtleute zur Burg hinauf, um die Messe in der Burgkapelle zu feiern, wie man es an hohen Festtagen gewohnt war. Nicht alle fanden Platz in dem kleinen Raum, dessen Wände so kunstvoll mit den Bildern der Apostel und Heiligen ausgemalt waren. Viele, besonders die ärmeren Leute, mussten draußen stehen und konnten den Segen des Burgkaplans nur durch die offen stehende Pforte empfangen. Die Familie des Verwalters Jean kniete jedoch weit vorn im Kirchenraum zwischen den Burgleuten, für die man Polster ausgelegt hatte, damit sie nicht die Kälte der Steinplatten verspüren mussten. Dennoch wäre Tiessa an diesem Tag lieber draußen vor der Kapelle geblieben. Sie verspürte ein starkes Herzklopfen, das sie sich nicht erklären konnte. Vermutlich war das Gedränge die Ursache, der muffige Geruch der Körper und Gewänder, vor allem aber der starke Duft des Räucherfasses.
Immer hatte sie die Messe mit großer Andacht gehört. Die lateinischen Worte, die sie nur teilweise verstand, waren ihr wie ein heiliger Strom erschienen, der durch den Mund des Priesters auf die Gläubigen ausgegossen wurde. Die hellen Gesänge der Chorknaben von St. Denis glichen den Stimmen der Engel, die den göttlichen Kosmos umschwebten. An diesem Tag jedoch machten die Worte und Töne sie so schwindelig, dass sie Mühe hatte, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Sie hatte ihre Sünde immer noch nicht gebeichtet – schlimmer noch, sie war voller Kummer und Zorn und haderte mit den Gesetzen Gottes, die ihr verboten, ganz und gar glücklich zu sein. Insgeheim fürchtete sie, dass es Satan sein könnte, der in sie gefahren war, schließlich wusste man, dass der Feind Gottes kein Räucherwerk vertragen konnte.
Auch die Rede des Burgkaplans glitt nahezu ungehört an ihr vorüber. Sie sah nur die weit ausholenden Bewegungen seiner Arme und das Glitzern der Stickereien an seinem roten Gewand. Sie begriff, dass er alle Heiligen der Christenheit beschwor, den Kreuzrittern bei ihrem Kampf zur Seite zu stehen, vor allem dem Grafen Rotrou von Perche. Der Sohn des Grafen, Gottfried von Perche, kniete seitlich des Altars, wo die gräfliche Familie ihren Platz hatte, von allen anderen Leuten abgetrennt. Neben ihm sah man seine junge Frau Richenza, deren Züge Tiessa sehr kindlich, zugleich aber gefestigt erschienen. Es war schwer, sie genau zu betrachten, da ihr Blick zu Boden gerichtet war und der weiße Schleier über ihre Wangen fiel. Tiessa bemühte sich, den Hass gegen den Burgherrn zu besiegen, denn es war eine Sünde, bei der heiligen Messe Zorn oder gar Hass zu verspüren, doch es wollte ihr nicht gelingen. Die Qualen der höllischen Verdammnis, die der Priester so oft geschildert hatte, waren ihr sicher, nichts konnte sie davon erlösen. Nie
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