Die Braut des Nil
Auch du
wirst die Deinigen nicht aufgeben.«
Nofret stand
auf und stellte sich vor Kamose.
»Schwöre mir,
dass du Setek nicht töten wirst!«
Ihr Blick
leuchtete hell. Kamose war gebannt.
»Ich bin
Hathor-Priesterin«, erinnerte ihn Nofret. »Meine Schwestern werden mir helfen.
Wenn du mich liebst, wirst du eine solch verwerfliche Tat nicht begehen.«
»Ich gebe dir
mein Wort, Nofret.«
Erleichtert lächelte sie.
Keiner von
beiden wollte vom nächsten Morgen sprechen. Ein Morgen, der ihre Trennung
bedeuten würde.
»Beten wir zusammen«, bat
Nofret. »Rufen wir die Göttin Hathor an.«
»Ich kenne
die rituellen Worte nicht…«
»Gib mir
deine Hand. Unsere Herzen werden gemeinsam sprechen.«
In der von
süßen Wohlgerüchen erfüllten Nacht psalmodierte die Stimme der jungen Frau alte
Beschwörungsformeln, die noch aus der Zeit stammten, als die Pharaonen
Pyramiden bauten.
»Göttin der
Liebe«, sang Nofret, »Herrscherin der Sterne, Du, die Du Dich in der
himmlischen Kuh verkörperst, die das Universum mit ihrer Milch nährt, lasse
nicht zu, dass gelöst wird, was wir auf dieser Erde gebunden haben. Du bist die
Goldene, die vom göttlichen Golde glänzt, Du machst die Liebenden trunken, Du
lässt Geist und Körper jubeln. Du, die Du Gottes Wort in Dir birgst, erhelle
unseren Weg.«
Die lange
Stille, die auf Nofrets Beschwörung folgte, beruhigte Kamoses Seele. Er
wünschte, sie würde nie enden. Die Stimme seiner Geliebten hatte den jungen
Mann verzaubert. Die Priesterin hatte ihn weit von der Welt der Menschen und
ihren Schändlichkeiten weggeführt.
»Die Göttin
hat mich erhört«, sagte Nofret.
Sie sah in
die Ferne, als könne ihr Blick die Dunkelheit durchdringen.
»Deine
Forderung war richtig, Kamose«, fuhr sie fort. »Der Hauptverantwortliche für
das Unglück, das deine Eltern niederdrückt, muss zur Rechenschaft gezogen
werden.«
Kamose
wunderte sich.
»Setek? Aber
du hast mich doch schwören lassen…«
»Ich spreche
nicht von dem Soldaten, sondern von seinem Herrn. Von demjenigen, der den
Befehl gab, ihm Land zuzuteilen.«
Erschreckt
glaubte der junge Mann, er habe falsch verstanden.
»Nofret… du
willst doch nicht…«
»Doch,
Kamose. Ich will jenen benennen, der das Schicksal aller Menschen kennt, den
Herrn Ägyptens: den Pharao.«
17
In Karnak
hatte der Pharao gerade die Riten des Sonnenaufgangs vollzogen. Er war allein
in den geheimsten Teil des geschlossenen Tempels gegangen und hatte die Türen
des letzten Heiligtums geöffnet, das die Statue enthielt, in der sich die
göttliche Macht verkörperte.
Er beugte
sich vor ihr nieder und bat sie, in Frieden zu erwachen, er kleidete sie an,
parfümierte sie und gab ihr zu essen. Er bot dieser verborgenen Macht nicht den
materiellen Aspekt der Dinge, sondern das den Menschen unzugängliche
feinstoffliche Wesen einer jeder Sache dar.
Nachdem er
die Riten vollzogen hatte, war Ramses der Große wieder in seinen Palast
gegangen, um dort wie jeden Morgen den Rat der Weisen einzuberufen, in dessen
Gesellschaft er die großen Entscheidungen fällte, die Ägyptens Wohlstand und
Zukunft sicherten.
Unter ihnen
war auch der Alte. Der Pharao bezeugte ihm größten Respekt, denn er äußerte
seine Meinung zwar selten, aber sie war von größtem Einfluss.
An diesem
Morgen hatte der Rat der Weisen den Bau eines neuen Tempels im Nildelta
beschlossen. Der Alte hatte nichts dagegen gehabt. Als die Würdenträger den
Saal verließen, stützte sich der Alte auf einen Stock und hatte anscheinend
Mühe, ihnen zu folgen. Trotz seines hohen Alters hatte er jedoch keinerlei
Schwierigkeiten mit dem Gehen. Es handelte sich um einen Code zwischen dem
Pharao und ihm. Es gab keine bessere Methode, unauffällig um eine Unterredung
zu bitten. Der Pharao näherte sich seinem alten Lehrer, stützte ihn und führte
ihn zu einem Büro des Palastes, in dem es angenehm kühl war. Dienerinnen
brachten Bier und Obst. Die beiden Männer nahmen auf wunderbar vergoldeten
Holzstühlen Platz.
»Ich höre Euch zu, Meister«,
sagte Ramses der Große. »Was habt Ihr für ein Anliegen?«
»Keines,
Majestät. In meinem Alter wartet man ruhig darauf, dass der Tod einen vor
Osiris’ Gericht führt.«
»Keine
Annäherungsversuche an Osiris«, befahl der Herrscher. »Ägypten braucht Euch
noch.«
»Ihr habt nicht die
Angewohnheit, Euren Freunden zu schmeicheln, Majestät. Fangt nicht damit an.
Sonst fühle ich mich verpflichtet, streng zu werden.«
»Mögen
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