Die Braut des Normannen
alles.
Sie stand bei Sonnenaufgang auf, zog sich schnell an und ging hinunter in die Halle. Sie gab den Dienern Anweisungen für den Tag, noch bevor ihr Mann die Augen geöffnet hatte.
Nichola vermißte den kleinen Ulric so sehr, daß ihr das Herz weh tat, und deshalb war sie entschlossen, sich mit allen möglichen Tätigkeiten von ihrem Kummer abzulenken. Sie wollte arbeiten, bis sie vor Müdigkeit umfiel.
Sie war gewillt, ihrem Mann Frieden zu schenken, auch wenn sie erst darüber nachdenken mußte, wie sie das bewerkstelligen sollte. Sie mußte ihre Launen zügeln, ihre Meinungen für sich behalten und ihrem Mann in allem zustimmen.
Diese Veränderungen würden sie wahrscheinlich umbringen. Trotzdem – sie hatte Royce ihr Wort gegeben, und sie würde es halten. Die schuldete ihm auch Dank für alles, was er für ihre Familie getan hatte. Sie hatte ihn dazu gedrängt, die Verantwortung zu übernehmen, und dadurch sein Leben zerstört. Das mindeste, was sie tun konnte, um diese Schuld wiedergutzumachen, war, dem Mann das zu geben, was er sich wünschte.
In ihrem Hinterkopf lauerte die leise Hoffnung, daß Royce sie dann vielleicht auch lieben lernen konnte. Sie wollte nicht einfach nur ein Teil seines Lebens sein – sie sehnte sich danach, sein Herz für sich zu gewinnen.
Nichola arrangierte Blumen in der braunen Vase, die auf dem Tisch stand, als Clarise und Alice in die Halle kamen.
Die beiden Frauen spendeten sich gegenseitig Trost und halfen sich abwechselnd über den Verlust ihres kleinen Lieblings Ulric hinweg.
Je mehr sie von dem Baby sprachen, desto mutloser wurde Nichola. Sie schüttelte entschlossen den Kopf und erklärte den Dienerinnen, daß es Ulric in seinem neuen Heim nicht an Liebe fehlen würde.
»Wir haben heute eine Menge Hausarbeit zu erledigen«, eröffnete sie den Frauen. »Ab heute werde ich jeden Morgen die Aufgaben, die bis abends erledigt werden müssen, unter uns aufteilen. Meine Damen, wir werden alles organisieren.«
»Warum?« wollte Clarise wissen. »Wir haben bis jetzt auch immer alles ohne Organisation erledigt.«
»Mein Mann mag die Unordnung nicht« führte Nichola aus. »Und ich habe ihm mein Wort gegeben, daß ich die Frau sein werde, die er sich wünscht. Deshalb ...«
»Aber er mag Euch genau so, wie Ihr seid«, unterbrach Alice ihre Herrin.
Clarise stimmte ihr zu. »Ihr werdet doch nicht das Gegenteil annehmen. Lieber Himmel, der Baron ist so freundlich und duldsam ...«
»Er ist freundlich und duldsam zu jedermann«, fiel Nichola ihr ins Wort.
»Also, gut«, meinte Clarise. »Weshalb wollt Ihr dann alles anders machen?«
»Ich möchte mehr«, gestand Nichola flüsternd. »Ich hätte gern, daß Royce ...« Sie konnte die Worte nicht aussprechen.
Clarise hatte Mitleid mit ihr. »Ihr hättet gern, daß Royce für Euch dasselbe empfindet wie euer Vater für eure Mutter – wollt Ihr das damit sagen?«
Nichola nickte.
Clarise wandte sich schnaubend an Alice. »Sie glaubt, daß der Baron sie nicht liebt.«
»Oh, aber er muß sie lieben«, erwiderte Alice. »Natürlich tut er das.«
Nichola seufzte. »Ihr beide habt mich gern«, meinte sie.
»Genau wie ich euch, und darum könnt ihr euch nicht vorstellen, daß jemand nicht so für mich empfindet.«
Clarise schenkte ihr einen düsteren Blick, und Nichola hielt eine Hand hoch, um jeden Einwand aufzuhalten, dann erklärte sie bis in alle Einzelheiten, welche Veränderungen sie an sich selbst und im Haushalt plante. Die beiden Frauen hörten ihr ungläubig zu.
»Ihr meint, Ihr werdet nie mehr Eure Stimme erheben?« fragte Alice nach und griff damit den letzten Punkt von Nicholas Ausführungen noch einmal auf.
Clarise schüttelte den Kopf. »Das kann nicht Euer Ernst sein. Wenn dieser Mann Euch nicht so lieben kann, wie Ihr seid ...«
»Ich behaupte, daß er sie liebt«, brummte Alice. »Mylady, Ihr brauchtet ihn doch nur zu fragen.«
Nichola ließ die Schultern sinken – sie wollte nicht zugeben, daß ihr dazu der Mut fehlte. Wenn er nein sagte, was dann? »Es spielt gar keine Rolle, ob er mich liebt oder nicht«, sagte sie. »Ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet. Und ich werde alles tun, um ihm das Glück und den Frieden zu geben, den er verdient. Das ist das mindeste, was ich tun kann.«
»Ich habe Euch nie zuvor so verunsichert erlebt«, murmelte Clarise. »Das gefällt mir nicht. Es wäre mir wirklich lieber, wenn Ihr wie sonst den Stier bei den Hörnern packen würdet. Früher hattet Ihr immer einen
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