Die Braut des Normannen
»Lieber Gott im Himmel, haltet Euch fest. Ich komme und helfe Euch. Seht nicht nach unten, sonst geratet Ihr in Panik.«
»Nein, komm nicht hier herauf«, rief Nichola. »Du wirst nur durch den Boden brechen. Hol meinen Mann. Beeil dich, ich kann mich nicht mehr sehr lange halten.«
Die Dienerin wirbelte herum, kam aber nicht weit. Die große zweiflüglige Tür flog auf, noch ehe sie sie erreicht hatte, und Royce stand vor ihr.
Clarise brauchte nichts zu erklären. Royce erfaßte auf den ersten Blick, was geschehen war – er sah die zerborstenen Holzteile auf dem Boden und die baumelnden Füße, die vom oberen Treppenabsatz herabhingen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, und er stürmte vorwärts, um sich direkt unter Nichola zu postieren.
»Was, in Gottes Namen, tust du da?«
Sein Gebrüll beruhigte sie tatsächlich, aber dann drang der Sinn seiner absurden Frage bis zu ihrem Verstand. »Nach was sieht das wohl aus?« schrie sie zurück. »Ich hänge über einem Abgrund, Dummkopf.«
Royce hörte den belustigten Unterton in ihrer Stimme und traute seinen Ohren nicht. Seine Frau müßte eigentlich völlig verängstigt sein.
»Laß los, Nichola, und zieh die Knie an. Ich fange dich auf«, sagte er ruhig und sachlich.
»Ja, Royce.«
»Laß los, mein Herz.«
Nichola war so verblüfft über diesen Kosenamen, daß sie ihre Angst vergaß. Sie ließ los und wartete darauf, von ihrem Mann aufgefangen zu werden.
Er schwankte kaum unter ihrem Gewicht, als sie in seinen Armen landete, und hielt sie ganz fest. Dann wich er einige Schritte zurück, aus Angst, daß noch mehr Trümmer herunterfallen und sie treffen könnten.
Er zitterte, während er seine Frau in die Halle trug, und ihm wurde schwindlig, als er daran dachte, wie knapp sie einer Katastrophe entronnen war. Sie hätte sich den Hals brechen können.
»Du wirst das obere Stockwerk nie mehr betreten, hörst du, Nichola?«
Er hielt sie so fest, daß ihre Arme schmerz ten, und sie hätte ihm sofort ihre Zustimmung gegeben, wenn er sie nicht abgelenkt hätte, indem er mit dem Fuß einen Stuhl aus dem Weg räumte. Er ließ sich auf dem hochlehnigen Sessel vor dem Kamin nieder und atmete ein paarmal tief durch. Nichola merkte erst jetzt, wie aufgeregt ihr Mann war,* und sein Benehmen enthüllte ihr wenigstens zum Teil, was in seinem Inneren vorging. »Du hattest Angst um mich, stimmt's?« fragte sie.
Er bedachte sie mit einem finsteren Blick, der ihr zeigte, wie idiotisch ihm diese Frage vorkam. »Ich werde veranlassen, daß noch heute alles, was sich oben befindet, ins Erdgeschoß gebracht wird. Widersprich mir nicht, Nichola – mein Entschluß steht fest. Du wirst nie wieder da hinaufgehen.«
Sie nickte. »Du hattest Angst um mich.«
»Ja.«
Dieses eine harsche, knappe Wort versetzte Nichola in hellste Begeisterung. Er mochte sie. Sein wild hämmerndes Herz, das sie in seiner Brust spürte, war ein weiterer Beweis für diese Tatsache.
Er muß sich beruhigen, dachte sie. Die Gefahr war ja vorüber. Nichola beschloß, ihn ein wenig abzulenken.
»Royce, du solltest deine Burg wirklich abreißen und eine andere bauen lassen. Ich frage mich, warum du noch zögerst.«
Er verspürte plötzlich den Drang, sie zu erwürgen. »Es ist nicht meine Burg, und es ist auch nicht deine«, erklärte er und betonte dabei jedes Wort.
»Wem gehört sie dann?« fragte sie verwirrt.
Er schob sie von seinem Schoß und stand auf. »Uns«, versetzte er. »Alles gehört uns, meine Liebe – nicht mir und nicht dir, sondern uns. Verstanden?«
Sie nickte. Verdammt, nie wieder in seinem Leben wollte er solche Todesängste ausstehen. Er umklammerte grob ihre Schultern und küßte sie, dann drehte er sich um und verließ die Halle. Er mußte seine Fäuste gebrauchen und auf irgend etwas eindreschen. Ein Ballspiel war jetzt genau das Richtige für ihn. Wenn er ein paar seiner Soldaten niedergeschlagen hätte, würde er sich vielleicht besser fühlen. Aber als er über die Holztrümmer stieg, ahnte er schon, daß es ihm nicht genügen würde, ein paar Männer niederzuschlagen. Wahrscheinlich müßte er es mit der ganzen Einheit aufnehmen, um wieder zu sich zu kommen.
Nichola begriff gar nicht, was gerade geschehen war. Vermutlich hatte es viel zu bedeuten, daß ihr Mann die Besitzverhältnisse auf diese Weise geklärt hatte, aber er war so wütend, daß sie noch verwirrter war als zuvor.
Zehn Minuten später kam eine Gruppe von Soldaten ins Haus, und innerhalb einer Stunde hatten
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