Die Braut des Normannen
willst mich also jeden Morgen küssen?«
Er ließ ihre keine Zeit zu protestieren und küßte sie auf die Lippen, ehe er zur Tür ging.
Sie lief ihm nach. »Royce, was ist mit Justin?«
»Was soll mit ihm sein?« fragte er über die Schulter.
»Hast du ihn auch nach Hause geholt?«
»Ja.«
Sie war brüskiert über sein plötzlich schroffes Benehmen.
»Ich würde ihn gern zu Hause willkommen heißen. Könntest du ihn bitten, zu mir hereinzukommen?«
Royce blieb stehen, drehte sich um und starrte sie lange an.
»Ihn bitten?« fragte er harsch.
Sie nickte. »Ja, das wäre schön.«
Er seufzte. »Nichola, weißt du überhaupt, welche Position Justin jetzt einnimmt?«
Wovon redete er eigentlich? »Ich weiß, daß er endlich wieder zu Hause ist.«
»Dies ist nicht mehr sein Zuhause, sondern meins. Dein Bruder ist jetzt einer von vielen Soldaten in meiner Truppe, und ich bitte meine Männer niemals, ich gebe ihnen Befehle und dulde keinen Widerspruch.«
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, hatte sie immer noch nichts begriffen.
»Also schön«, sagte sie. »Dann gib meinem Bruder bitte den Befehl, zu mir zu kommen.«
»Nein.«
»Nein? Warum bist du nur so schwierig? Justin ist hier geboren und aufgewachsen. Es ist sein Heim. Wenn du nicht willst, daß er ins Haus kommt, dann gehe ich eben zu ihm.«
Er stellte sich ihr in den Weg. »Du wirst hierbleiben und dich um Ulric kümmern, Nichola. Du kannst Justin sehen, wenn er sich zurechtgefunden hat.«
Sie runzelte verwirrt die Stirn, gab aber klein bei. »Gut, ich warte, bis er sich eingerichtet hat. Was meinst du, wie lange er braucht – ein oder zwei Stunden?«
»Nein – ich denke, er braucht einen Monat, wenn nicht länger. Bis dahin bleibst du ihm fern, verstanden?«
Royce schloß die Tür hinter sich, so daß sie nicht mehr imstande war, sich gegen dieses Diktat aufzulehnen. Nichola konnte nicht glauben, daß er das ernst meinte – es war unmöglich, daß sie sich nicht um ihren Bruder kümmerte.
Während sie Ulric in sein Zimmer brachte, grübelte sie über dieses Problem nach.
Nichola verbrachte den Rest des Tages mit Clarise bei ihrem Neffen und freute sich, daß er so große Fortschritte gemacht hatte, durch das Zimmer krabbelte und unverständliche Laute vor sich hin plapperte.
»Würdet Ihr ihn einen Moment halten, Mylady?« fragte Clarise. »Der Baron hat die Anweisung gegeben, die Truhe in sein Schlafzimmer zu bringen.«
Nichola entschied anders. »Laß sie hier, Clarise. Wir können Ulrics Sachen darin unterbringen.«
An diesem Nachmittag machte Nichola weitere sechs Befehle des Hausherrn rückgängig. Er hatte Wachteln zum Abendessen bestellt, Nichola sagte der Köchin, sie solle statt dessen Fasan zubereiten.
Nachdem sie gemeinsam mit Alice, die als Kinderschwester fungierte, bis andere Arrangements getroffen waren, Ulric ins Bett gebracht hatten, machte sich Nichola auf den Weg in die riesige Halle. Man hatte den großen Tisch näher an den Kamin gerückt, aber sie ließ ihn dorthin zurückschieben, wo er hingehörte, und die Bediensteten befolgten ohne Widerspruch ihre Anweisungen, wie sie es immer getan hatten.
Nichola vermutete, daß Royce nicht einmal merkte, daß man seine Instruktionen nicht ausgeführt hatte. Er sagte kein Wort, als er sich zu Tisch setzte und eine ordentliche Portion Fasan verzehrte. Lawrence und Ingelram aßen mit ihnen, und sie unterhielten sich hauptsächlich über die Erweiterung der Festung.
»Hast du dich entschieden, ob du eine neue Mauer bauen oder die alte, die ja noch in tadellosem Zustand ist, verstärken willst?« erkundigte sich Nichola.
»Nein, Mylady, die Mauer ist nicht in tadellosem Zustand«, sagte Ingelram.
Nichola wandte sich ihm zu. »Ach nein?«
Ingelram war so bezaubert von der Schönheit seiner Herrin, daß er kein weiteres Wort mehr herausbrachte. Ihre strahlend blauen Augen brachten ihn durcheinander, und ihr Lächeln stahl sich direkt in sein Herz, so daß er fast vergaß zu atmen. Ein Stoß in die Rippen erinnerte ihn daran, wo er sich befand, und als er den Kopf drehte, fing er den funkelnden Blick seines Barons auf. »Du darfst dich entschuldigen, Ingelram.«
Der Vasall sprang auf und stieß in seiner Hast einen Stuhl um. Er beeilte sich, ihn aufzuheben, verbeugte sich vor Royce und lief aus der Halle.
»Was ist los mit ihm?« fragte Nichola.
»Ihr seid schuld daran«, erklärte Lawrence.
Nichola straffte die Schultern. »Was wollt ihr damit sagen, Lawrence? Ich
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