Die Braut des Satyrs
gewienert worden, sein Schnurrbart war mit Rasierwasser gekämmt, und er stank nach Lust. Letzteres allerdings unterschied ihn nicht von allen anderen Herren im Salon.
Lyons Geruchssinn mochte nicht so gut sein wie der seiner Brüder, aber er war immer noch besser als der irgendeines gewöhnlichen Menschen. Was es umso bizarrer machte, dass er keinen Hauch von Mademoiselle Rabelais’ Duft entdecken konnte.
Dabei hatte er doch den weiblichen Voyeur auf der Brücke deutlich riechen können. Handelte es sich denn nicht um ein und dieselbe Frau? Es war ihm rätselhaft, und ihm fehlte die Geduld für Rätsel.
Vielleicht musste er sich näher zu ihr begeben. Nein. Genau diese Art von lässigem Schlendern hatte vorher beinahe das Ende einer Statue eingeläutet. Und auf dem Weg zu ihr lauerten noch zahlreiche
Objets d’art
. Er blieb lieber dort, wo er war, und hoffte, dass sie auf ihn zukam. Fast eine Stunde hatte er bereits hier verbracht, und sie war die einzige Frau im Raum, die ihn noch nicht angesprochen hatte.
Der Kosake hob sein Glas in einer Karikatur eines Trinkspruchs und sagte: »Wünsche ich Ihnen viele Glucke. Bin ich hier jeden Donnerstag, seit drei Monate, und habe ich keine einzige Male die da gekriegt in Bett. Habe ich große Tasche, also glaube ich, ist meine Stammbaum, was nicht gefällt Beschützer von Mademoiselle Rabelais.«
Lyons Blick wandte sich zu besagtem »Beschützer«, Monsieur Valmont, dem dieses Etablissement offenbar gehörte. Er war ein großer hagerer Mann, dessen schlohweißes Haar nicht zu seinem Alter passte, ansonsten aber dürfte er wohl als gutaussehend gelten. Allerdings war er so blass, dass Lyon unweigerlich an ein Porträt aus der großen Kunstsammlung seines ältesten Bruders denken musste. Es zeigte Vlad den Pfähler, einen rumänischen Prinzen, der für seine Blutrünstigkeit verschrien gewesen war.
Dann kehrten Lyons Augen zu der ungleich angenehmer anzuschauenden Juliette Rabelais zurück. Sie war eine von zehn Frauen, die inmitten von fast drei Dutzend Männern saß, also zweifelsohne die Trophäe, die alle begehrten. Jede ihrer Gesten erinnerte Lyon an das Gefühl von Samt auf warmer Haut: beruhigend, zärtlich und überaus verführerisch. Etwas Hypnotisches umgab sie, und sie zu beobachten war ein Genuss, an den er sich allzu schnell gewöhnen könnte.
Als wäre sie sich gar nicht gewahr, dass alle Männer im Raum buchstäblich nach ihr lechzten, saß sie gelassen auf ihrem Satin-Thron wie eine Orchidee unter lauter Zierdisteln, weißem Gänsefuß und gemeinem Leinkraut.
»Sechs Monate komme ich schon hierher, und immer noch nichts«, beklagte sich ein Franzose, der zur anderen Seite des Kosaken stand. »Wieso ich immer noch herkomme, ist mir
un mystère
.« Er blickte tief in sein Glas und dann wieder auf das grünäugige Objekt seiner Begierde, als könnte er gar nicht anders.
Solches Gerede von Männern hatte Lyon noch nie verstanden. Wie seine Brüder schätzte auch er die Gesellschaft von Damen in höchstem Maße – sowohl im Bett als auch außerhalb. Doch obgleich er eigens nach Paris gekommen war, um seine Braut zu finden, und nun schon zwei Kandidatinnen statt einer aufgespürt hatte, gäbe er sich keinen Moment der Illusion hin, Juliette Rabelais könnte sein Herz erobern. Dazu wäre sie ebenso wenig imstande wie Sibela.
Als die Gespräche um ihn herum verebbten, drang ihre Stimme zu ihm. Prompt umfasste er sein Glas fester. Eine schöne verfügbare Dame Französisch sprechen zu hören, war beinahe ein todsicheres Mittel, ihm eine Erektion zu bescheren. Ganz besonders eine Frau mit mandelfarbenem Haar und einem schmalen hellen Hals. Und erst recht eine, die jede einzelne Silbe so köstlich aussprach, dass sie ihre Lippen spitzte, als würde sie die Luft küssen. Nicht zu vergessen eine Frau, die er in sein Bett zu bekommen plante.
Letztere Entscheidung hatte er in dem Moment gefällt, in dem ihr Duft ihm von der Brücke aus entgegengeweht war. Und als er ihre Stimme vernahm, fühlte er, wie sich etwas in ihm veränderte, sich ein Riegel hob und sein Innerstes geöffnet wurde.
In jenem Augenblick, obwohl er gerade auf einer anderen Frau gelegen hatte, war der Drang in ihm erwacht, diese hier zu beschützen. In ihm hatte sich ein tiefer Wunsch geregt, fortan gut für sie zu sorgen. Vor allem aber wollte er in sie eintauchen und sie auf immer als die seine markieren.
Es handelte sich eindeutig um dieselbe intensive Anziehung, die ihn vorher zu
Weitere Kostenlose Bücher