Die Braut des Satyrs
in Schadenfreude baden könnt!«
Wieder kicherten sie, entfernten sich aber flussabwärts, so dass Sibela wieder mit ihrem Zorn allein war.
Unterschiedlichste Möglichkeiten, wie sie Lyon für seine Treulosigket bestrafen könnte, gingen ihr durch den Kopf, während sie hilflos das Hotel beobachtete. Die Strömung hier am östlichen Ende der Île Saint-Louis, wo der Fluss sich um die Insel teilen musste, war stark. Es verlangte Sibela einige Anstrengung ab, an Ort und Stelle zu bleiben.
Sie musste einen Weg finden, wie sie diese Katastrophe wieder in Ordnung brachte. Mit dem Fischschwanz wedelnd, bewegte sie sich vor und zurück, wobei sie sich stets parallel zum Ufer hielt.
Lyon hatte Juliette an ihrer statt in sein Bett geholt. Warum? Männer entschieden sich niemals für eine andere, wenn sie Sibela haben konnten. Und warum passierte es ausgerechnet jetzt, da es lebenswichtiger denn je für sie war, das Herz eines Mannes – nun, zumindest seinen Samen – zu gewinnen?
Sie hatte ihn zuerst gehabt. Aber ihre Rivalin gewann ihn bei Vollmond. Wessen Anspruch war der überlegene? Sie fürchtete, dass sie die Antwort kannte, und sie gefiel Sibela überhaupt nicht.
Plötzlich schwang die Hoteltür auf, und Juliette erschien. Sibela staunte, denn der Mond stand noch hoch am Himmel! Satyr würde ihr unter keinen Umständen erlauben, sein Bett vorzeitig zu verlassen.
Die Mademoiselle huschte die Straße entlang, an jedem Arm einen Korb. Dem Klimpern und Klirren nach zu urteilen, mussten sie voller Geschirr sein.
»Warte!«, trällerte Sibela, um sie näher zu locken. Vielleicht konnten sie einen Handel abschließen, was den Mann betraf, den sie beide wollten.
Aber Juliette drehte sich nur kurz zum Quai, ehe sie weiterlief. Entweder war sie zu sehr in Gedanken oder schlicht zu menschlich, um sie zu hören.
Sibelas Blick wanderte wieder zum Hotel. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Lyon drinnen geblieben war. Ein tiefes Gurren drang aus ihrer Brust, und sie begann, ihn herbeizurufen. Derweil verhielt sie sich möglichst still, lauschte aufmerksam auf ein Zeichen, dass ihre Rufe ihn erreichten. Doch sie blieben unbeantwortet. Eine weitere Stunde oder mehr verging, während der sie unablässig weitersang. Warum reagierte er nicht auf ihre Rufe?
Ihr Fischschwanz wedelte fließend, und ihre Gedanken wanderten im selben Rhythmus, aber ihr Kopf und Oberkörper blieben regungslos. So regungslos, dass eine Schildkröte sie mit einem moosigen Felsen verwechselte und versuchte, ihr auf den Kopf zu kriechen.
Verdammtes Biest!
Sibela schlug sie weg. Ein Sterblicher schlenderte mit seiner Frau vorbei; beide sahen zum Wasser, als sie das Platschen hörten. Sie blickten Sibela direkt an, schienen sich jedoch nicht zu wundern.
Erregung überkam sie. Konnte es sein, dass der Tarnzauber, den Satyr gestern um sie gewoben hatte, immer noch wirkte? Falls ja, könnte sie an Land gehen, ohne entdeckt zu werden.
Da sie es nicht erwarten konnte, ihre Unsichtbarkeit zu erproben, glitt sie aus dem Fluss und hockte sich ans Ufer. Dort strich sie sich das Wasser von der unteren Körperhälfte und rieb sich mit Gräsern und raschelndem Laub ab, um ihre Verwandlung zu beschleunigen.
Mit einer Geste, die ihr so vertraut war, dass Sibela sie ohne nachzudenken vollzog, befingerte sie ihre Ketten und arrangierte sie so vor ihrer Brust, dass sie die Haut darunter verdeckten. Unter den Edelsteinen nämlich prangten blasse Narben – längst verheilte Risse und Wunden, die ihr vor Jahren zugefügt worden waren und die von selbst heilten, sowie kleinere Brandwunden, die bis heute frisch blieben. Zwar waren all die Male nur in einem bestimmten Licht erkennbar, doch ihr Anblick löste gemeinhin Fragen aus, die Sibela nicht beantworten wollte. Daher der Schmuck.
Auf einmal durchschnitt ein scharfer maskuliner Schrei die Luft. Sofort drehte Sibela sich zu dem hohen Hotelfenster, aus dem der überirdische Laut gekommen war. Das war Lyon, der nach Hilfe rief! Sein Schrei war so schwach und dünn, dass sie kaum glauben wollte, er wäre es gewesen.
Hastig erwiderte sie seinen Ruf, doch er entgegnete nichts. Die Zeit kroch dahin, als sie tat, was sie konnte, um ihre menschlichen Beine herbeizubeschwören. Der verfluchte Satyr hatte wahrscheinlich keine Ahnung, was sie seinetwegen durchmachte. Dachte er etwa, die Knochen zu verändern und Haut zu bilden wäre ein Kinderspiel? Männer!
Eine qualvolle halbe Stunde später besaß sie endlich neue Glieder. Aber
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