Die Braut des Satyrs
während sie die Zwillinge unentwegt ansah.
»Lyon! Wach auf!«, zischte sie, klatschte ihm sanft an die Wange und rüttelte an seinem Kinn, um ihn wach zu bekommen.
»Er ist krank«, stellte eines der Phantome fest.
»Ohnmächtig«, fügte das andere hinzu.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch ihre Stimmen seiner glichen, als hätte Lyon gesprochen. Sie sah ihn an, doch er schlief weiter.
»Wer seid ihr? Seine Brüder?« Sie schüttelte den Kopf, weil die Frage sogar ihr selbst abstrus erschien, denn sie hatte seine Brüder doch in seinen Gedanken gesehen. »
Non
, ihr seht ihm ähnlich, nicht ihnen.«
»Wir
sind
er«, sprachen sie im Chor.
Beide traten einen Schritt näher.
»W… was wollt ihr?«, quiekte sie.
»Ihn heilen. Durch dich.«
Wieder blickte sie zu Lyon. Seine Augen blieben geschlossen, sein Gesicht entspannt, und sein Atem ging so flach, dass sein Brustkorb sich fast nicht mehr bewegte. Ohne zu wissen, was sie tat, küsste sie ihn innig auf den Mund, weil sie glaubte, es wäre womöglich ein letzter Abschied.
»Es tut mir leid, was ich dir versehentlich antat. Bitte, stirb nicht!«, flüsterte sie. »Bitte nicht!«
Dann stand sie auf und ging in weitem Bogen um die Zwillinge herum zum Feuer, wo sie den Schürhaken aufnahm. Sie umfasste ihn mit beiden Händen und schwenkte ihn hin und her wie ein Schwert. Derweil wanderte ihr Blick von einem Mann zum anderen. Sie drohte beiden, ihnen weh zu tun, sollten sie es wagen, näher zu kommen.
Die beiden neuen Lyons hatten nichts unternommen, um sie davon abzuhalten, sich eine Waffe zu holen. Allerdings hatten sie ihre Position verändert, so dass sie jetzt den einzigen Ausgang versperrten.
»Wer seid ihr?«, wollte sie wissen und gab sich alle Mühe, einschüchternd zu klingen.
»Wir sind, was er versprach«, antwortete der eine.
»Wir werden dich nicht verletzen«, ergänzte der andere mit Blick auf ihren Behelfssäbel.
»Wenn ihr euch bedeckt und von der Tür weggeht, könnte ich euch vielleicht glauben. Auf den anderen Betten liegen Decken.«
Beide ignorierten ihren Vorschlag und blieben stehen, stumm und wachsam.
»Woher kommt ihr?«, fragte sie.
»Er hat uns hergebracht«, gab der Erste mit Blick zu Lyon zurück. »Auf dieselbe Weise, wie du dich in dem Wald in Stein verwandeln kannst, kann er Wesen wie uns aus dem Weltenraum beschwören.«
Der Schürhaken in ihren Händen schwankte. »Woher wisst ihr davon?«
Diesmal antwortete der andere. »Weil er es weiß. Wir haben seine Erinnerungen und sein Verlangen.«
»Wir sind er«, wiederholten sie unisono.
Sie konnten unmöglich wissen, was mit ihr in dem Wald geschehen war, es sei denn, sie sagten die Wahrheit. War es denn wirklich so abwegig, dass Lyon, der mit Nereiden bekannt war und bisweilen einen überflüssigen zweiten Penis besaß, überdies fähig war, ein Paar spiegelbildliche Retter heraufzubeschwören?
Und mit dieser Frage begann sie, ihnen zu glauben.
»Wir sind Nebelnymphen«, fuhr der Erste fort. Da er bei dieser Unterhaltung offenbar die Führung übernahm, taufte sie ihn im Geiste Eins und seinen Bruder Zwei. »Die meisten unserer Art sind weiblich. Die einzigen männlichen Nymphen, die er beschwören kann, sind wie wir: Nachahmungen seiner selbst.«
Er nickte seinem Zwilling zu, der daraufhin zu Lyon ging und sich neben ihn setzte. Liebevoll legte er eine Hand an seine Wange und strich ihm eine Locke aus dem Gesicht. »Nicht mehr lange«, hörte Juliette ihn flüstern.
»Er wird sterben, solltest du dein Versprechen nicht einhalten«, erklärte Eins, der ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte. Er war näher gekommen, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Sie trat zurück. »Welches Versprechen?« Mit jedem Schritt, den sie rückwärts machte, kam er einen näher. Es war, als vollführten sie einen bizarren Walzer.
Vom Bett aus richteten sich zwei eindringliche Augen auf sie. »Ihn zu heilen. Uns in dich einzulassen.«
»Non!«
, schrie sie entsetzt. »Das, das alles ist …
c’est impossible!
«
Sowie jedoch Eins nach dem Schürhaken griff, gestattete sie ihm, seine Hände auf ihre zu legen, so dass sie ihn beide festhielten. Seine Hände waren warm, stark und lebendig. Wie konnte das sein?
»Du wirst unberührt bleiben«, beschwichtigte er sie, »wie er es zusagte.«
Ihr wurde noch heißer, als Zwei das Bett verließ und sich hinter sie stellte. Sie zuckte zusammen, als er sie berührte. Doch seine Hände berührten sie ganz sanft an der Taille, von wo aus
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