Die Braut des Satyrs
standen so gut wie keine Möbel darin, und das vorhandene Mobiliar war eindeutig nach Kriterien wie Bequemlichkeit, nicht Stil, ausgewählt worden. Zudem wirkte alles so antiquiert, dass die Sachen wohl schon vor ewigen Zeiten angeschafft worden sein mussten.
Mehrere Gerätschaften für den Weinbau waren wahllos verstreut, was darauf hinwies, dass dieses Herrenhaus mit seinen Marmorböden und den Kronleuchtern gleichermaßen als Arbeitsplatz wie auch als Wohnraum fungierte. Es war unschwer zu erkennen, dass Lyons Aktivitäten sich nicht bloß auf den Außenbereich konzentrierten, sondern er es überdies geschafft hatte, diesen hereinzubringen.
Eine knappe Stunde bevor die Kutsche sein Haus erreichte, hatte Lyon Juliette gezeigt, wie weit das Satyr-Weingut reichte. Wie eine Festung war das Anwesen von einer gigantischen Steinmauer umgeben. Nachdem sie das Tor passiert hatten, kamen sie an mehreren Ruinen, Zierbauten, Statuen und Pavillons vorbei.
Trotz des Spätherbstes war die Luft innerhalb der Mauern ungewöhnlich mild, und überall blühten Phlox, Immergrün, Baldrian, verschiedene Efeuarten, Farne und Gräser. Früchte und Kräuter, die andernorts nur im Frühling oder Sommer wuchsen, schienen hier selbst zu dieser Jahreszeit zu gedeihen. In der Ferne erstreckten sich unendliche Hügel, deren Hänge von symmetrischen Rebenreihen gemustert waren. Lyons Weingut war um ein Vielfaches größer, als es das der Valmont-Familie gewesen war.
Und nachdem Juliette all das gesehen hatte, konnte sie es nicht erwarten, sein Haus zu betreten, und sei es auch nur, um der erdrückenden Natur zu entkommen. Beinahe zwei Wochen war sie mit ihm gereist, was sie zwar ein wenig gegen alles ländlich Idyllische abgehärtet hatte, aber vage bedrohlich fand sie es nach wie vor. Umso froher war sie, als sie bemerkte, dass die Wildnis aus Zypressen, Weißdorn und Wein auf seinem Land gezähmteren Gärten, Parks und Wegen wich.
Schließlich war sein
Castello
vor ihnen aufgetaucht, das mit fünf majestätischen Türmen aufwartete, die aus der Ferne eine hübsche Formation ergaben. Die Außenwände bestanden aus Granit mit Eisen- und Goldapplikationen, die im Sonnenlicht funkelten und allem etwas Schlosshaftes verliehen. Außerdem prangten große Schilde an den Mauern, welche die Wappen der Satyr-Vorfahren oder Naturszenen abbildeten. Von Letzteren waren diejenigen, die Wildkatzen wie Löwen und Panther darstellten, am eindrucksvollsten.
Nachdem sein Land und das Äußere des Hauses so imposant wirkten, hatte Juliette erwartet, das Innere wäre es ebenfalls. Im Grunde war es das sogar. Die Räume selbst – jedenfalls die, die sie bisher gesehen hatte – waren mit edlen Hölzern und toskanischem sowie Carrara-Marmor gestaltet. In der Mitte führte eine mit dickem Teppich belegte Wendeltreppe den Hauptturm hinauf, und allein das dekorative Treppengeländer zog die Blicke der Besucher auf sich.
»Oben gibt es einen Aussichtsraum«, verriet Lyon, als er bemerkte, wo sie hinsah.
Sie wartete, dass ihr eiskalt vor Entsetzen wurde, stellte jedoch überrascht fest, dass sie den Gedanken, von oben auf die Natur zu schauen, weit weniger abstoßend fand, als sie noch vor zwei Wochen gedacht hätte. Er legte einen Arm um sie und drückte sie mit geradezu jungenhafter Begeisterung. »Was meinst du?«
»Es ist das schönste Anwesen, das ich jemals gesehen habe. Aber du hättest mich warnen sollen«, antwortete sie halb im Spaß. »Du hast es als bequem und unprätentiös beschrieben.«
»Das ist es doch auch.« Er blickte sich verdutzt um. Sein luxuriöses Zuhause schien ihn tatsächlich nicht zu beeindrucken. Für jemanden, der in solchem Prunk aufwuchs, war es wohl normal.
»Wie dem auch sei, es ist unser Zuhause, und du darfst es nach deinen Wünschen verändern.«
Juliette ignorierte diese Bemerkung, denn wenig subtile Hinweise dieser Art äußerte er häufiger. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er sie zu heiraten gedachte. Bald müsste sie ihm sagen, dass und warum es unmöglich war, doch feige, wie sie war, zögerte sie den Moment weiter hinaus.
Obwohl er ihr versichert hatte, dass er erst mit dem nächsten Vollmond wieder ganz gesunden würde, wirkte er recht gut bei Kräften, so dass er ihre Erklärungen aushalten dürfte. Bis auf einige Gedächtnislücken schien ihm nichts zu fehlen. Und selbst diese waren merkwürdig selektiv. So konnte er sich bisher nicht erinnern, bei Valmont gewesen zu sein, und sie hatte ihm lediglich
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