Die Braut des Shawnee-Kriegers
schief zusammengewachsene Nase. Nun schaute sie zum ersten Mal ihre veränderten Züge an.
Scharf atmete sie ein, während sie auf das Wasser hinabblickte. Das Gesicht, das ihr daraus entgegensah, hatte nicht mehr die makellose Pfirsichhaut, an die sie sich erinnerte. Trotzdem waren diese Züge nicht annähernd so abstoßend, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es war, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ein interessantes Gesicht. Ein anziehendes Gesicht.
Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und bemerkte, dass die gebrochene Nase und die leicht schiefe Oberlippe ihrem Gesicht einen ausgesprochen sinnlichen Ausdruck verliehen, den es vorher nicht gehabt hatte. Durch die vernarbte Haut über ihrer linken Augenbraue bekamen ihre Augen einen fragenden Ausdruck. Und was die Narbe an ihrem Kinn betraf, die sie sich so besonders hässlich vorgestellt hatte, war es kaum mehr als ein Schatten, fast wie ein verlängertes Grübchen.
Du wirst ein neues Gesicht haben – das Gesicht der Tapferkeit.
Wolf Hearts Worte klangen ihr noch in den Ohren. Sie blies auf die Wasseroberfläche, und ihr Spiegelbild zerrann in winzige Wellen. Wie viel Mut wirklich hinter ihrem neuen, faszinierenden Gesicht steckte, musste sich noch erweisen. Für den Augenblick jedenfalls hatte sie Besseres zu tun, als hier müßig herumzusitzen und ihr Spiegelbild zu bewundern!
Sie streckte sich so weit sie eben konnte, packte eine Hand voll Brunnenkresse aus dem nassen grünen Büschel an der Bachmündung, riss es los und warf es in ihren Korb. Als sie etwas davon kostete, brannte ihr der frische, pfeffrige Geschmack leicht auf der Zunge. Swan Feather würde es mögen, dessen war sie sich gewiss. Und vielleicht auch Wolf Heart.
Wolf Heart.
Wenn sie daran dachte, wie er jetzt mit finsterem Blick in der dunklen Hütte saß und sich zu Tode langweilte, zog sich ihr Herz zusammen. In der Welt, aus der sie kam, hätte sie ihm vielleicht Bücher zum Lesen gebracht. Oder sie hätte ein Schachbrett genommen und ihn zu einem Spiel ermuntert. Sie hätte ihm auch etwas auf dem Klavier vorspielen können, was sie wirklich gut, wenn nicht sogar brillant konnte. Vielleicht hätte sie auch Freunde eingeladen, damit er mit ihnen über Philosophie oder Mathematik diskutieren konnte. Hier in dieser wilden Einöde dagegen gab es nichts, womit er seinen Geist hätte zerstreuen können. Wolf Heart vergeudete sein Leben hier unter den Shawnee, doch das war sein Problem. Er hatte es ja so gewollt.
Sie selbst würde sich anders entscheiden.
Als sie den Rand der Wiese erreicht hatte, füllte sie den noch halb leeren Korb mit frischem grünen Gras. Es könnte von Vorteil sein, sich mit den Pferden ein wenig anzufreunden. Wenn sie sie kannten und bei ihrem Anblick Futter erwarteten, würden sie nicht unruhig werden, wenn sie kam, um eins von ihnen wegzuführen.
Mit energischen Schritten machte sie sich auf den Rückweg zum Dorf. Zwei Krieger, die sich damit beschäftigten, Ulmenrinde für ein Kanu zu rollen, begrüßten sie mit einem freundlichen Grinsen. Aus dem Eingang einer Hütte lächelte sie ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen schüchtern an und drückte seine Puppe fest an die Brust. Die Welt der Shawnee ist durchaus nicht übel, musste Clarissa zugeben, doch es war nicht die ihre. All das würde sie bald hinter sich lassen.
Sie schluckte nervös, als sie sich der Lichtung näherte, wo die Pferde standen. Eines fernen Tages würde all dies nur noch ein Traum sein … der Fluss, der Wald, das Dorf und seine Bewohner, Swan Feather und White Moon, Cat Follower und der vom Kampf gezeichnete Hunts-at-Night. Die Frauen und Kinder. Und Wolf Heart.
Es gab Clarissa einen leisen Stich, als sie die ganze Wahrheit erkannte.
Wenn sie die Welt der Shawnee verließ, würde es für immer sein. Es würde keine Briefe geben, keine Besuche. Für die Menschen hier würde ihr Verschwinden so endgültig sein, als wäre sie gestorben.
Auch ihre eigene Erinnerung würde verblassen, das wusste sie. In den langen Jahren, die vor ihr lagen – Jahre, in denen sie sich den Prüfungen des Lebens stellen musste –, würden die Gesichter, die sie jetzt so klar vor sich sah, verblassen und allmählich verschwinden.
Sie alle wären für sie verloren.
Wolf Heart lehnte seinen schmerzenden Oberkörper gegen den Weidenrahmen und biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. Er war allein in dem rauchigen Dämmerlicht der Hütte. Swan Feather war hinausgeschlurft, um sich um ihr
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