Die Braut von Rosecliff
fernt, um verstehen zu können, was er sagte, während er die Pferde tätschelte. Dann rief jemand seinen N a men, und er drehte sich um.
Der Rotbart eilte auf ihn zu, in einen warmen Mantel gehüllt, eine Pergamentrolle in der Hand. Josselyn hätte für ihr Leben gern einen Blick darauf geworfen. Noch viel lieber hätte sie die Rolle gestohlen.
Die beiden Männer steckten die Köpfe zusammen, und sie ergriff die Gelegenheit, um sich durchs Unter holz näher heranz u schleichen. Sie wollte unbedingt wissen, worüber geredet wu r de. Der Rotbart deutete hügelabwärts, Fitz Hugh genau in ihre Richtung. Erschrocken ließ Josselyn sich auf die Knie fallen und hielt den Atem an, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte. Hatten die Engländer sie gesehen? Der Rotbart klopfte mit einem behandschuhten Finger auf seine Perg a mentrolle, und sie entspannte sich ein wenig, kam wieder auf die Beine und schlich sich trotz ihrer Furcht weiter an.
»… schwerer auszuheben… Aber der Grund ist tragfähiger, und das ist wichtig«, sagte der Rotbart.
»Was machen die beiden Brunnen?«
Das hörte Josselyn ganz deutlich, und die Sti m me von Fitz Hugh war unverkennbar, auch wenn sie sie bisher nur ein ei n ziges Mal gehört hatte. Zwei Brun nen? Ihr Dorf kam mit dem Flusswasser aus, aber das war den Engländern natürlich nicht gut genug. Sie wollten zwei Brunnen! Wenn es nur irgendeine Mög lichkeit gäbe, diese Pläne zu vere i teln!
Ein gellender Schrei zerriss plötzlich die Stille – der schrille Hilferuf eines Kindes. Josselyn wirbelte auf dem A b satz herum und hatte das Gefühl, als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ihres Wissens nach hatten die Engländer w e der Frauen noch Kinder mitgebracht…
Schlagartig begriff sie, wie gefährlich die Situat i on war, denn eine hohe Stimme kreischte auf Walisisch: »Nein! Lass mich los! Hilfe! Hilfe!«
Die Engländer hatten ein walisisches Kind en t führt!
Fitz Hugh und der Rotbart drehten sich um. Von ihrem Ve r steck aus konnte Josselyn nicht sehen, was los war, aber der breitschultrige Riese eilte mit großen Schritten an den Ort des Geschehens.
Irgendwo hinter ihr lachte ein Mann, stieß aber im nächsten Augenblick einen Schmerzensschrei aus. »Das verdammte Ding hat mich gebissen!«
»Selbst schuld, wenn du nicht auf deine Hand auf passt«, erwiderte Fitz Hugh trocken. »Wo hast du das Kerlchen aufgegri f fen?«
»Es ist ein Mädchen«, berichtete der andere Englän der. »Sch a de, dass es nicht ein bisschen älter ist, sonst könnt ich durchaus was mit der Kleinen anfangen!«
Josselyn wusste, was der Kerl meinte. Engländer waren dafür bekannt, dass sie walisische Frauen und Mädchen vergewalti g ten! Ihre Angst wuchs ins Uner messliche, als das Kind wieder kreischte und Flüche ausstieß, die ein Kind eigentlich nicht kennen sollte.
Sie erkannte die Stimme. Es war Rhonwen! Das Mädchen war ihr gefolgt…
»Gib mir den kleinen Satansbraten«, knurrte Fitz Hugh.
Ohne an die Folgen zu denken, schoss Josselyn aus dem Unterholz heraus. Sie durfte nicht zula s sen, dass ein Kind verletzt wurde.
»Hinter Euch, Mylord!«, schrie jemand.
Dann ging alles sehr schnell. Fitz Hugh wirbelte herum und duckte sich. Josselyn sah jetzt, dass Rhon wen in den Armen e i nes stämmigen Burschen zappel te, doch bevor sie das Mädchen erreichen konnte, wurde sie selbst gepackt und zu Boden g e worfen, förmlich zermalmt vom schweren Körper des riesigen Engländers. Einige schlimme Seku n den lang konnte sie nicht atmen, Sterne tanzten vor ihren Augen, und sie glaubte in einem dunklen Abgrund zu versinken. Gleich würde sie oh n mächtig werden!
Nein, sie durfte auf gar keinen Fall das Bewuss t sein verlieren! Unter Aufbietung aller Willenskraft kämpf te sie sich ans Licht zurück, was freilich nur möglich war, weil der Mann sie von seinem Gewicht befreit hatte. Aber sie bekam nach wie vor keine Luft. Im nächsten Augenblick wurde sie grob auf die Beine gestellt und über einen musk u lösen Arm gebeugt. Ein kräftiger Schlag auf den Rücken bewirkte, dass ihre Lungen sich endlich wieder mit kalter Luft füllen konnten. Ihre E r leichterung war von kurzer Dauer, denn sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. Der Feind, den sie ausspionieren wollte, hatte sie mühelos über wä l tigt, und jetzt hing sie wie ein nasses Wäsch e stück über seinem Arm! Sie schwor sich, Rhonwen umzubringen, die an allem schuld war. Vorausg e setzt na türlich, dass die Engländer sie und
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