Die Braut von Rosecliff
eine besonders spannende Handlung für das Mädchen ausde n ken.
Sobald sie das Dorf hinter sich gelassen hatte und den ve r schneiten Pfad hinaufstapfte, gingen ihr aber wieder trübsinn i ge Gedanken durch den Kopf. Hatte sie es nicht selbst mit einem Drachen zu tun – mit dem Abgesandten des englischen Königs, der hier eine Burg errichten wollte? Sie wollte ihn ausspioni e ren, und vielleicht würde der Barde Newlin ja die Rolle einer guten Fee übe r nehmen und ihr helfen.
Doch wer kam als rettender Krieger in Frage?
Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Gesicht von Randulf Fitz Hugh auf, so wie sie es im Facke l schein gesehen hatte. Trotz der beiden Narben konnte man ihn durchaus als attraktiv bezeic h nen, das musste sie widerwillig zugeben. Aber er war ein Engländer, ein verhasster Feind, ein Drache, der ihr Volk unte r jochen wollte. Nein, er konnte in dieser Geschichte nicht den schönen Retter in der Not spielen. Wer dann? Owain?
Mit gerunzelter Stirn erklomm sie den Hügel, wo bei sie oft ausrutschte. Owain ap Madoc war kein hässlicher Mann, aber das war auch das einzig Gute, was man über ihn sagen konnte. Er hatte jung gehei ratet und einen Sohn gezeugt, und seit e i nem knap pen Jahr war er Witwer. Viel mehr wusste sie nicht über ihn – nur dass er ihr zuwider war und sie Angst vor ihm hatte. Doch das genügte… Hatte er den ar men Tomas ermo r det? Es gab keine Beweise dafür, aber sie war felsenfest übe r zeugt, dass er es getan hat te. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, und sie lehnte sich an den dicken Stamm eines A horns, um Atem zu schöpfen. Gladys ertränkte ihren Kummer in billigem Fusel, seit sie ihren Mann verloren hatte, und die drei Kinder waren die Leidtrage n den… Nein, Owain war ganz bestimmt nicht der schöne Krieger, der Josselyn vor dem englischen Drachen retten konn te. Er war noch viel bedrohl i cher als jener Drache. Was sollte sie nur tun?
Ihr blieb wohl nichts anderes übrig als sich selbst zu retten, a n statt auf einen edlen Krieger zu warten. Irgendwie musste sie die Engländer daran hindern, sich in diesem Teil von Wales niederzulassen. Onkel Clyde würde ihr Verhalten zwar missbi l ligen, aber er konnte sie nicht daran hindern, und letztlich wü r de er ihr sogar dankbar sein. Und sie würde Owain nicht heiraten mü s sen, nur um die Sicherheit von Carreg Du zu gewäh r leisten.
Zitterte sie vor Kälte oder vor Angst? Wie auch immer – sie schlang das wollene Tuch enger um den Kopf und stampfte mit den Füßen, um sich zu wär men. Auf gar keinen Fall würde sie jetzt umkehren!
Sie würde die Engländer ausspionieren und sich Zu gang zu ihrem Lager verschaffen. Und dann würde sie den Feind i r gendwie von ihrem Land vertreiben, auch wenn sie vorläufig noch keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte.
Jedes Mittel war ihr recht, wenn sie dadurch eine Ehe mit dem walisischen Schurken vermeiden konn te!
Als sie den Waldrand unterhalb von Rosecliffe erreichte, sah sie, dass die Engländer trotz des Schnee falls arbeiteten. Graben konnten sie freilich nicht, weil der Boden gefroren war, aber d a für fällten sie Bäume, hackten die Äste ab und schleppten die Stämme den Hügel hinauf.
Josselyn versteckte sich hinter einem dicken Baum und beobachtete das geschäftige Treiben. Fünf Pfos ten mit roten Wi m peln schienen die Ecken eines riesi gen Gebäudes zu markieren. Hatte dieser Fitz Hugh wirklich die Absicht, eine Festung dieser Ausmaße zu errichten?
Josselyn hatte bisher zwei Burgen gesehen – stattli che Ba u werke, dreistöckig, mit hohen Schutzmauern. Doch sie nahmen allenfalls ein Zehntel der Fläche in Anspruch, die der Englä n der offenbar für sein Boll werk vorgesehen hatte.
Und warum hatten sie angefangen, in großer Ent fernung von der geplanten Festung einen Graben aus zuheben? Vom Hörens a gen wusste Josselyn, dass es Burggräben gab, aber sie konnte sich nichts darunter vorstellen. Ihr Blick schweifte wieder zu den Arbei tern, die gerade zwei Zugpfe r de einspannten, um den von Ästen befreiten Baumstamm auf den Gipfel von Rosecliffe zu befördern.
Als einer der Männer sich aufrichtete, hielt Josselyn unwil l kürlich den Atem an. Es war Randulf Fitz Hugh! Er schuftete Seite an Seite mit seinen Leuten, und sie hatte ihn nur an seiner Größe erkannt, denn er trug die gleiche grobe Kleidung wie alle – Stiefel, Hemd und Hose, darüber eine ärmellose Weste. Sie sah, dass er die Lippen bewegte, war aber zu weit ent
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