Die Braut von Rosecliff
Feind… er würde immer ihr Feind sein.
Sie musste fliehen, aber wie? Vielleicht könnte sie mit einer Ke r ze das Dach in Brand setzen. Die Männer würden herbeieilen, um sie zu retten, und während der allgemeinen Aufregung könnte sie vielleicht ent kommen…
Dann schaute sie seufzend zum Bett hinüber. Sie war unsagbar müde, nicht nur von den körperlichen Anstrengungen dieses schrecklichen Tages, sondern noch mehr vom Wirrwarr ihrer Gefühle. Flüchten konnte sie auch morgen noch, und wenn sie ausge ruht war, würde ihr bestimmt etwas Besseres als Brandsti f tung einfallen.
Morgen würde sie Rands schändliche Pläne vereiteln. Doch jetzt wollte sie nur eines – schlafen!
11
Der Schlaf schenkte Josselyn wenig Erholung, denn sie träumte von Steinen, die auf den Feldern wuchsen, von Steinen, die um sie herum in die Höhe schössen, während sie aß oder schlief, von Steinen, die sie um zingelten… Dann wurde sie durch lautes Hämmern an der Tür aus diesen beunruhigenden Träumen ge ri s sen.
»Steht auf, Mistress Josselyn!«, rief jemand. »Euer Onkel kommt zu Besuch.«
Sofort war sie hellwach, sprang aus dem Bett und rannte durch den dunklen Raum zur Tür. »Er kommt hierher?«
»Ja.« Sie erkannte Alans Stimme. »Macht Euch hübsch! Ihr habt ja einen Wasserkrug… und für etwaige sonstige Bedürfnisse steht ein Eimer bereit«, fügte er kichernd hinzu.
Sonstige Bedürfnisse? Männer waren allesamt Schweine! Jo s selyn rüttelte an der Tür. »Schließ sofort auf!«
Sie hörte ihn lachen. »Ich riskier doch nicht, dass Fitz Hugh mir den Kopf abreißt! Die Tür kann nur er öffnen. Beeilt Euch, denn Eure Landsleute werden bald hier sein.«
Josselyn wusch sich Gesicht und Hände und spülte ihren Mund aus. Sie erspähte einen Hornkamm, wollte ihn aber nicht benutzen. Schlimm genug, dass sie in Rands Bett geschlafen hatte. Seine pe r sönlichen Ge genstände würde sie nicht anrühren, schwor sie sich, denn das könnte den fälschlichen Eindruck von Inti mität erw e cken.
Lieber kämmte sie ihre wirren Haare mit den Fingern und flocht sie zu einem Zopf, während sie ner vös wartete und bei jedem Geräusch zusammenzuck te.
Aus der Ferne waren Männerstimmen zu hören raue, b e drohliche Stimmen. Aber kein Waffenlärm, kein Klirren von Stahlklingen – Gott sei Dank!
Im Zimmer war es sehr still. Sie hatte beim Zubettgehen eine Kerze brennen lassen, die tapfer gegen die Dunkelheit ankämp f te. Dann näherten sich schwere Schritte, und sofort schrillten in Josselyns Kopf alle Alarmglocken. Rand kam, um sie zu holen!
Die Tür flog weit auf – aber es war nur Osborn, der auf der Schwelle stand, eine Laterne in der Hand, und sie neugierig musterte. »Dein Onkel möchte dich se hen, um sich zu vergewi s sern, dass du wohl behalten bist.«
»Darf ich mit ihm sprechen?«, fragte Josselyn eisig.
»Das glaube ich kaum, aber vielleicht gelingt es dir ja, Rand umzustimmen, wenn du ihm schöne Augen machst.«
Er hielt sie am Arm fest, während sie das Lager durchque r ten. Seine Miene war unergründlich, und Josselyn traute sich nicht, ihn zu fragen, was er mit seiner rätselhaften Bemerkung gemeint hatte. Riet er ihr etwa indirekt, netter zu Rand zu sein, ihn zu ver führen?
Doch das ergab keinen Sinn. Warum sollte Osborn ihr einen solchen Rat geben?
Ihr blieb zum Glück nicht viel Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn bald erreichten sie den Platz, wo sich zwei Gruppen von Kriegern gegenüber standen, getrennt durch die noch nicht allzu hohe Mauer. Rands Männer, egal ob Soldaten oder Arbeiter, waren mit Spießen, Äxten und Schwertern b e waffnet und schienen wild entschlossen zu sein, bis zum Tod um di e ses kleine Stück Land zu kämpfen.
Clyde ap Llewelyn hatte hingegen nur ein Dutzend Mann mitgebracht – weniger als zu dem ersten Tref fen mit den Englä n dern. Josselyn konnte ihren Onkel beim besten Willen nicht verstehen – er hätte Stärke demonstrieren müssen, so wie Ra n dulf Fitz Hugh es tat…
»Dein Onkel scheint ein weiser Mann zu sein«, be merkte O s born unerwartet, als er mit ihr gut zwanzig Schritt von der Mauer entfernt stehen blieb. Ihr ver ständnisloser Blick entloc k te ihm ein Grinsen. »Er lässt keinen Zweifel daran, dass er r e den, nicht kämp fen will. Du musst ihm sehr wichtig sein.«
Während Josselyn ihn jetzt dort stehen sah, wurde ihr b e wusst, wie sehr sie ihn liebte. Er war ein guter Mensch, der in einem schrecklichen Dilemma steckte.
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