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Die brennende Gasse

Die brennende Gasse

Titel: Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Freiheit, so aufs Gaspedal zu drücken, wie sie es sich immer gewünscht hatte – wie irgendein verrückter Rennkuckuck, dem nur der Wind folgen kann. Nicht, daß die Polizei von Westmassachusetts sich in dieser Nacht mit Verkehrssündern abgegeben hätte, die zu schnell fuhren – sie hatten dringendere Aufgaben, als einen uralten Volvo zur Seite zu winken, der auf seiner letzten Reise vor der Pensionierung noch einmal seine Grenzen erprobte. Das ehrwürdige Vehikel würde seinen Ruhestand unter einem Tarnnetz in den Wäldern von Neuengland verbringen, den Tank geleert, als archaisches Symbol dafür, wie die Welt früher einmal ausgesehen hatte: verläßlich, widerstandsfähig, ewig. Während die Bäume an ihr vorbeirasten, fiel Janie ein, daß im Player noch immer eine CD von Maria Callas steckte und die sie herausnehmen sollte, bevor sie den Wagen ins Abseits stellte.
    Ohne die möchte ich nicht vom Angesicht der Erde verschwinden.
    Herrje, gibt es sonst noch was, das ich vergessen habe? Ganz bestimmt.
    Mit aufgeblendeten Scheinwerfern und fast dreißig Meilen schneller als erlaubt raste sie auf der schmalen Landstraße der nächsten Phase ihres Lebens entgegen. Michael saß neben ihr auf dem Beifahrersitz, Caroline hinten. Es war eine Zeit, in der man schluckte und zitterte, eine Zeit, in der man sich fragte, was man tun sollte, und » Ab in die Wälder « schien die beste Antwort auf einer kurzen Liste jämmerlicher Optionen.
    Sie passierten abgedunkelte Häuser, am Straßenrand zurückgelassene Autos, aus dem Unterholz hervorleuchtende rote Augenpaare. Sie waren weniger als zwanzig Meilen von der Sicherheit entfernt, als im Scheinwerferlicht plötzlich ein kleines Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren auftauchte. Als sie sie erblickten, saß sie auf einem Stein am Straßenrand, ungekämmt und spindeldürr; doch sobald sie sie sah, begann sie auf dem Stein hektisch auf und ab zu springen und die mageren Arme zu schwenken. Ihre Bewegungen wirkten mechanisch, als habe jemand hinter ihr auf einen Knopf gedrückt, um sie in Gang zu setzen.
    Daher fuhr Janie an ihr vorbei. Doch selbst in der Dunkelheit hatte sie den leeren, verzweifelten Ausdruck der Ausbruchszeit auf dem Kindergesicht bemerkt, und das rüttelte an ihrem Herzen. Sie verlangsamte und schaute in den Rückspiegel.
    Verzagt sah sie ihre Mitflüchtlinge an. » Was sollen wir jetzt machen? « flüsterte sie.
    » Fahr weiter «, befahl Michael auf dem Beifahrersitz.
    » Aber sie ist ein Kind «, klagte Caroline, » und wir haben Mitternacht, mein Gott! « Sie beugte sich vor und legte eine Hand auf die Rückenlehne des Fahrersitzes. » Janie, bitte – wir können sie nicht einfach dort lassen. «
    Janie blickte über die Schulter zurück. Sie sah den weißen Verband um Carolines Finger und erinnerte sich, was noch vor ihnen lag – wie überaus lang diese Nacht werden würde.
    Aber es ist ein Kind! Sie lenkte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Die Stille war plötzlich immens.
    » Was sollen wir mit ihr anfangen? « wandte Michael ein. » Wir können sie nicht mitnehmen. «
    » Vielleicht ist sie von zu Hause weggelaufen «, gab Janie zu bedenken.
    » Dann fahren wir sie dorthin zurück und anschließend sofort weiter. « Caroline wandte sich mit bittendem Blick an ihren Mann.
    » Michael … eines Tages braucht vielleicht auch unser Kind jemandes Hilfe. «
    » Hör mal «, zögerte er, » das könnte eine Art Falle sein. «
    Aber Caroline blieb hartnäckig. » Wer würde ein kleines Mädchen mitten in der Nacht an den Straßenrand stellen? Wer brächte so etwas fertig? Sie muß sich verirrt haben. Bitte, Michael – wir müssen ihr helfen. «
    Seine Stimme war voller Vorbehalte. » Fahr ein Stückchen zurück. «
    Janie ließ den Motor wieder an und legte den Rückwärtsgang ein; jaulend setzte der Volvo zurück. Als das Kind wieder sichtbar wurde, hielt Janie an. Michael spähte einen Moment unentschlossen in die Dunkelheit, versuchte mit den Augen das Unterholz am Straßenrand zu durchdringen. » Versperrt die Türen «, riet er den Frauen. » Macht sie erst auf, wenn ich wieder da bin. «
    Er stieg aus dem Wagen, setzte seinen Helm auf und ging dem kleinen Mädchen entgegen.
    Wie angewiesen drückte Janie den Verschlußknopf und hörte das beruhigende Klicken. Im Rückspiegel konnte sie Michael im Schein der Rücklichter sehen, neongrün von Kopf bis Fuß. Das Kind wich vor ihm zurück, deshalb ging er in die

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