Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
dutzendfach überklebten Klingelschild, auf dem der einzige vertraut klingende Name der der Ärztin ist, die heißt nämlich Podolski. Ansonsten wimmelt es bloß so von Nowaks und Nguyens und Kullukcus.
Das Omilein würde die glatte Panik kriegen. Nicht weil sie ein Problem mit Ausländern hat, um Gottes willen. Aber der exotischste Mensch, den die Omi je getroffen hat, ist vermutlich die Mercedes mit ihrem spanischen Papa. Ach so, und den Schorsch natürlich.
Ich klingle, der Türöffner summt und ich trete ein. Am Empfang muss ich als Erstes beweisen, dass ich im Besitz einer Versichertenkarte bin, vorher will die Arzthelferin nicht einmal hören, was mir fehlt. Sie vergewissert sich, dass die Versichertenkarte auch wirklich funktioniert, dann schickt sie mich in ein überfülltes Wartezimmer, in dem Menschen aller Nationalitäten durcheinanderplärren, ein quasi babylonisches Sprachgewirr, das bei mir den interessanten Effekt hat, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben als Deutsche und nicht als Bayerin fühle. Aber als ich mich setze, steigt meine alte Angst wieder in mir auf. Ich starre den abgetretenen Linoleumboden an und versuche, mich nicht auf meinen Puls zu konzentrieren, nicht auf das Kribbeln der Gesichtshaut, nicht auf meine kalten, glitschigen Finger. Fast bin ich erleichtert, als man mich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ins Behandlungszimmer schickt.
Eine Dame in weißem Kittel zeigt auf den Folterstuhl, der in der Mitte des Raums steht, und bedeutet mir, schon einmal Platz zu nehmen, Frau Doktor sei gleich bei mir. Sie gruscht mit ein paar Instrumenten herum, bindet mir ein Lätzchen um, öffnet irgendwelche Schubladen und schließt sie wieder. Dann greift sie über mich und macht schon mal die Lampe an, deren heller, kalter Schein mich trifft wie ein Bolzenschussgerät.
Ich höre noch, wie Frau Doktor hinter mir den Raum betritt.
Dann wird mir schwarz vor Augen, und allein die Tatsache, dass die Arzthelferin sofort merkt, dass etwas nicht stimmt und deshalb sofort anfängt, mir Luft zuzufächern und meine Beine anzuheben, verhindert, dass ich tatsächlich das Bewusstsein verliere.
Hinaus aus der Praxis taumle ich. Ich fühle mich, als hätte mir einer Omis Gusseiserne über den Schädel gezogen, und zwar mit Gebrüll. Die Ärztin musste viermal nachspritzen, bis die Betäubung gewirkt hat, und jetzt ist sie so stark, dass sie sich bis übers Ohrläppchen zieht und mir quasi die ganze linke Gesichtshälfte lahmlegt. Ich fühle mich wie eine Mischung aus einem Mumps- und einem Schlaganfallpatienten: dicke Backe plus Sabber unterm Kinn. Und das alles wegen einer pupsigen Karies unter einer Füllung.
Tatsächlich schauen mich die Leute, die mir auf dem Weg zurück zur U-Bahn begegnen, an wie ein Alien.
Ich ziehe ein Tempo aus der Tasche und wische mir den Mundwinkel ab, sicherheitshalber. Und ebenfalls sicherheitshalber wiederhole ich die Prozedur ungefähr alle zehn Sekunden.
Damit mein Elend möglichst keiner mitansehen muss, drücke ich mich ins hinterste Eck der U-Bahn. Eine Weile geht das tatsächlich gut. Die Sitze gegenüber sind frei, und es setzt sich auch keiner dort hin. Doch dann, bei der Haltestelle Französische Straße, passiert es.
Der eisblaue Engel steigt ein. Genau, eine von denen, mit denen Tino gestern im Wirtshaus gewesen ist. Und zwar exakt an der Tür, die meinem Platz am nächsten ist.
Ich ducke mich in meinen Sitz und verberge mein Gesicht hinter Hand und Spucktuch.
Und Gott sei dank, es gelingt. Der Eisengel sieht mich nicht. Er setzt sich mit dem Rücken zu mir hin, schiebt sich weiße Kopfhörer in die Ohren, starrt in das Dunkel des Tunnels vor dem Fenster und schiebt rhythmisch den Kopf vor und zurück.
Ich rutsche noch tiefer in meinen Sitz. Tino hat gestern immer wieder in meine Richtung gesehen, ich glaube, mein Auftritt hat ihn ganz schön beeindruckt. Aber der gute Eindruck ist garantiert sofort verspielt, wenn er erfährt, dass die Fantastische Fanny sich bei Tagesanbruch in ein sabberndes Monster verwandelt.
Die U-Bahn rattert in den nächsten Bahnhof, und der Eisengel erhebt sich wieder von seinem Sitz. Muss sie hier raus? Ich bete darum. Und ich bete, dass sie mich beim Aussteigen nicht sieht.
Doch dann erblicke ich ihn.
Jawoll, ganz recht. Ihn. Den Tino.
Er steht da auf dem Bahnsteig, hübsch wie immer, reckt den Kopf hin und her, und ehe ich irgendwas dagegen tun kann, macht der eisblaue Engel einen freudigen Satz zur
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