Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
Berlin ja gleich nach Bayern zurückgehen könne, hat er natürlich nachgegeben. Das Ganze umzusetzen war eigentlich auch kein großes Problem, weil inzwischen die Lara easy so weit ist, an meinem freien Abend die Verantwortung zu übernehmen. Und für mich bedeutet das, dass ich jetzt manchmal ein richtiges Wochenende habe!
Ganz ehrlich, ich bin heilfroh, dass ich mich da durchgesetzt hab. Jetzt im Sommer, als das Wetter so gut war, haben wir so jede Menge Ausflüge machen können: nach Potsdam und in den Spreewald zum Beispiel, oder an den winzigkleinen, im Grunewald versteckten Teufelssee, den kaum einer kennt. Wenn man auf dem Land wohnt, fährt man naturgegebenerweise ja nie einfach mal so ins Grüne. Aber von Berlin aus ist das ein Spitzending. Man packt eine Kühlbox und ein paar nette Leute ins Carsharing-Auto und streckt einen ganzen Tag lang den Ranzen in die Sonne.
Aber wir flacken nicht nur faul herum, keine Sorge. Wir sind zum Beispiel auch kulturmäßig unterwegs. Allein letzte Woche waren wir einmal auf einem Konzert und zweimal im Museum, und nach dem Konzert auf einer Vernissage in einem ehemaligen Autohaus, in dem junge Berliner Künstler ihre Arbeiten ausgestellt haben. Und im Mai waren wir sogar mal in der Philharmonie, als Sir Simon Rattle persönlich dirigiert hat!
Und wenn man mal überlegt, wen ich in den letzten vier Monaten so alles so kennengelernt hab. Leute aus aller Welt! Ich meine, als ich in Berlin angekommen bin, dachte ich noch, koreanische Blogger seien das Wunder aller Welten, aber hey, heute Abend habe ich einen buddhistischen Mönch getroffen, so einen platterten mit orangefarbener Kutte. Er kam aus Neuseeland, vom anderen Ende der Welt, und er hat mir die Hand auf die Stirn gelegt und dann gesagt, er könne bei mir irrsinnig positive Schwingungen spüren. Eigentlich tanze ich ja nie, aber mit ihm habe ich es versucht, zu einer Musik mit einem komisch stolpernden, blechernen Beat, zu dem wir ums Verrecken keinen Rhythmus finden konnten, worüber wir wahnsinnig gelacht haben. Und gestern erst bin ich einem pakistanischen Regisseur begegnet, der sogar schon mal für einen Oscar nominiert war, in der Kategorie bester Kurzfilm. Das hat mich echt ganz schön beeindruckt.
Das ist natürlich das Positive, wenn man ständig auf Achse ist. Man lernt neue Leute kennen, erlebt was, und dadurch entwickeln die Nächte eine unbändige Energie, die einen richtig mitreißt, auch dann noch, wenn man schon den ganzen Tag auf Achse gewesen ist (oder auf Arbeit, je nachdem), und ursprünglich gar nicht mehr die Kraft hatte, noch groß auszugehen.
Klar, unter anderen Umständen könnte es natürlich schon passieren, dass man sich zwischen den ganzen Eindrücken und Menschen und Gesprächen vielleicht irgendwann verloren fühlt, und manchmal staune ich selbst, dass ich die langen Nächte so genieße. Aber auf der anderen Seite gehe ich ja immer mit denselben Leuten aus, mit Frida, Giovanni, Dolores und Philippe, und natürlich und vor allem mit dem Tino. Mit Menschen also, die ich (mit Ausnahme von Dolores) inzwischen richtig lieb gewonnen hab, und die mir mittlerweile vertraut sind. So hat man auf jeder Party seine Anker, Leute, die man einfach ansteuern kann, wenn es einem zwischendrin mal zu viel wird, oder wenn man keine Lust mehr hat. Ich kann jederzeit einfach Tino suchen, seine Hand nehmen und meinen Kopf an seine Schulter lehnen, und dann weiß er, dass es Zeit fürs Bett ist.
Tino. Ich bin echt ganz schön verliebt inzwischen.
Es macht einen Riesenspaß, mit ihm die Stadt zu erobern. Er ist so tatendurstig, hat immer neue Ideen, weiß immer noch einen Ort, der es wert ist, angeschaut zu werden. Manchmal ist er übermütig wie ein kleiner Junge, das ist richtig ansteckend, und dann hab ich das Gefühl, dass die Stadt eine Art Zauberwald ist, den wir Hand in Hand entdecken.
Und dann gibt es noch etwas anderes, das uns in den letzten Wochen hat Flügel wachsen lassen: Der Tino hat in letzter Zeit nämlich ein paar spitzenmäßige Aufträge an Land gezogen. Das hat sich alles plötzlich ruckzuck so ergeben! Eigentlich ist er ja blutiger Anfänger, was die Fotografie angeht, immerhin ist er erst vor einem guten Jahr mit seinem Studium in Bielefeld fertig geworden. Als er nach Berlin kam, musste er erst mal in einem Fotoladen in Lichtenberg anheuern, wo er kaum etwas anderes gemacht hat, als nicht besonders ansehnliche Kunden vor einer marmorierten Tapete zu parken und hässliche
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