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Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Breznkönigin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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Porträtfotos von ihnen zu machen – als menschlicher Passbildautomat quasi. Aber vor ein paar Wochen ist bei Interview irgendein Fotograf abgesprungen, kurz vor einem total wichtigen Shooting, und Dolores hat es geschafft, den Job dem Tino zuzuschustern. Bärig, oder? Aufregend natürlich auch, immerhin hatte er in seinem ganzen Leben noch nie irgendeinen Promi fotografiert. Der Auftrag lautete, Paul Herwig zu porträtieren, einen Schauspieler aus dem Ensemble der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, also eine echt respektable Sache. Tino hatte dann die Idee, den Mann wie eine Theaterkulisse an Seilen aufzuhängen und zwischen den anderen Bühnenbildern nach oben zu ziehen, was auf dem Foto echt super und irgendwie auch witzig aussieht. Das fand zum Glück nicht nur ich, sondern auch der Art Director des Hefterls, der Tino prompt einen Folgeauftrag gegeben hat. Und das scheint sich wiederum herumgesprochen zu haben, denn kurz darauf haben sich noch zwei weitere Magazine gemeldet. Gut, mir haben die jetzt nichts gesagt, wie auch, aber hier in Berlin kennt sie ein jeder: 032c und Wedding, wobei Letzteres kein Hochzeitsmagazin ist, sondern ein nach dem Berliner Problembezirk benanntes Magazin für Alltagskultur, in dem Fotos von unaufgeräumten Wohnzimmern und Leuten in Secondhand-Klamotten abgedruckt sind. Nicht so mein Ding, aber gut, Hauptsache, dem Tino hilft’s, gell?
    Na ja, auf alle Fälle ist Tino ein toller Fotograf. Ich könnte jetzt gar nicht so genau beschreiben, was das Besondere an seinen Bildern ist, aber irgendwie haben sie etwas Unperfektes, ja, eigentlich sogar etwas Schiefes, wie bei der Mona Lisa, wo man ja auch wieder und wieder hinschauen muss, weil man nicht drauf kommt, was ihr Geheimnis ist.
    Ihm tun die Aufträge auch richtig gut. Er merkt, dass er etwas kann, und dass er jemand sein kann, also künstlerisch. Ich habe wirklich den Eindruck, dass er in den letzten Wochen ein Stück gewachsen ist.
    Das Taxi hält vor meiner Wohnung.
    » Acht Euro zwanzig«, sagt der Fahrer.
    » Neun, bitte.«
    Der Tino beugt sich vor und übernimmt das Bezahlen, währenddessen beobachte ich ihn. Er stellt sich ganz schön ungeschickt an, wodurch man ihm seinen Suri dann doch anmerkt. Na ja, ich spüre den Alkohol natürlich auch. In dieser Bar ohne Namen gab es einen neuen Drink, den plötzlich alle trinken, den Vesper Cocktail. Das ist ein irre starkes Gemisch, das im Wesentlichen aus Wodka, Gin und irgendeinem wiederentdeckten französischen Aperitif aus dem 19. Jahrhundert besteht und das man aus einem Martiniglas trinkt. Zugegeben, ich bin über diese Entwicklung nicht unfroh, weil ich in diese komische Gin-Tonic-Sache irgendwie nie richtig reingekommen bin und der Vesper Cocktail nicht ganz so bitter ist, sondern eher stark und kräftig in der Kehle brennt. Damit kann ich besser umgehen, das ist ein bisschen wie bei den Schnäpsen vom Papa.
    Der Tino steckt seinen Geldbeutel wieder weg, wir steigen aus und stiefeln die Treppe hoch zu meiner Wohnung. Es ist bestimmt schon nach zwei Uhr früh, aber langsam gewöhne ich mich daran, mich leicht torkelnd durch das dunkle, schlafende Haus zu bewegen, wo hinter den Türen Menschen leben, die ich nicht kenne, ja, die ich in den meisten Fällen noch nicht einmal zu Gesicht gekriegt habe. Ist ja auch logisch, oder? Ich arbeite, wenn sie zu Hause sind, und umgekehrt. Ich sperre die Wohnungstür auf und hebe die Post auf, die auf dem Boden liegt. Tino umarmt mich von hinten.
    » Mein Liebesmädel«, schnurrt er, und ich versuche leise lachend ihn abzuschütteln. » Meine Maienmaid!«
    Himmel, der ist aber doch ganz schön angeschossen. Da ist eindeutig der Punsch Vater des Gedankens.
    Rasch schaue ich die Briefe durch, aber es scheint nichts Wichtiges dabei zu sein: Werbung, eine Rechnung, noch eine Rechnung.
    Und eine Postkarte. Mist. Ich weiß genau, von wem die ist.
    Ich versuche, sie unauffällig zurück in den Stapel zu schieben, aber der Tino hat sie schon gesehen.
    » Eine Postkarte«, sagt Tino, und nimmt seine Hände von meinem Hintern.
    » Ja«, sage ich und will sie schnell in die Schublade stecken.
    » Willst du sie gar nicht lesen?«, fragt er.
    » Später«, sage ich.
    » Ich jetzt«, sagt er. » Gib!«
    Und schon hat er sie in den Fingern.
    Meine Güte, das nervt.
    » Liebe Fanny«, rezitiert er, leider leicht lallend.
    » Tino, die ist für mich!«, sage ich und halte die Hand auf, damit er sie mir wieder aushändigt.
    Ich weiß natürlich, von wem

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