Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
als sei ich gar nicht weg gewesen, meine ich. Als hätte ich mich in den letzten Monaten kein bisschen entwickelt. Als sei überhaupt nichts passiert. Als sei ich immer noch die Familiensklavin, die ich, seit ich denken kann, gewesen bin.
Ich atme ein und wieder aus, und weiß erst gar nicht, wohin mit meiner Empörung, aber nach einer Weile spüre ich, wie meine Wut langsam abflaut und ich mich in mein Schicksal füge. Was soll’s, gehe ich eben kellnern. Ist am Ende ja auch wurscht, oder? Ich meine, ich bin in den letzten Tagen kein Stück weitergekommen mit meinen Gefühlen, da kann ich zwischendurch auch ein paar Teller und Gläser von A nach B tragen. Außerdem ist es ohnehin mal wieder an der Zeit für ein bisschen Körperhygiene. Mit der hab ich’s in den letzten Tagen nämlich eher nicht so übertrieben.
Ich werfe einen Blick auf den Funkwecker auf meinem Nachttisch. Es ist halb elf, in einer Stunde beginnt das Mittagsgeschäft. Also sollte ich mich langsam in Bewegung setzen, fürchte ich. Ich stemme mich schwerfällig aus dem Bett und stehe auf. Meine Beine fühlen sich ganz schön wackelig an, so ähnlich, als hätte man mir gerade einen Gips abgenommen, oder als sei ich tatsächlich ein paar Tage krank gewesen. Ich mache ein paar Schritte in Richtung Badezimmer, das billige Parkett aus dem Baumarkt fühlt sich vertraut an unter meinen nackten Füßen. An manchen Stellen knarzt es leise, genau so, wie ich es gewohnt bin. Als ich im Bad in den Spiegel schaue, sehe ich blass und verschlafen aus, irgendwie auch ein bisschen knochiger ums Kinn. Habe ich abgenommen? Ich ziehe mein T-Shirt und meine Pyjamahose aus und blicke an mir herunter: Ja, habe ich. Sieht aber nicht unbedingt schlecht aus.
Ich muss etwas gestehen. Ich habe nicht ein einziges Mal geduscht in den letzten Tagen. Manchmal fühlt man sich ja am wohlsten, wenn Inneres und Äußeres harmonieren. Und zu meinem bedauernswerten Zustand hat es gepasst, dass ich mich klebrig fühlte. Das, was aus der nun aufgedrehten Dusche kommt, fügt sich allerdings ebenfalls ganz gut ins Bild. Eine rostbraune Brühe schießt da nämlich heraus, und ich muss eine ganze Weile warten, bis das Wasser wieder klar wird.
Ich bleibe lange unter der Dusche stehen, bestimmt eine Viertelstunde. Und hinterher geht es mir tatsächlich schon fast ein kleines bisschen besser. Ich tapse tropfend in mein Zimmer zurück und erinnere mich plötzlich an meine Alexa-Beute. Die müsste doch eigentlich noch in meiner Tasche sein? Mal schauen. Ah, da sind sie! Die Tüten kommen mir fast so vor wie ein Fund aus grauer Vorzeit, prähistorische Objekte aus einer fernen Vergangenheit. Aber gefallen tun mir die Sachen immer noch, darum ziehe ich gleich mein neues T-Shirt an und meine neue Jeans. Wenn man schon schlecht aussieht, dann sollte man doch wenigstens gut aussehen dabei.
Als ich die Klamotten anhabe, betrachte ich mich im Spiegel.
Na ja, geht so. Schlecht dominiert noch immer.
Ich sehe erneut auf die Uhr, dann schlüpfe in das Paar Chucks, das ich seltsamerweise nicht mit nach Berlin genommen hatte, und das, inzwischen richtig eingestaubt, neben der Wohnungstür steht. Dann steige ich die knarzende Treppe hinunter zur Wirtschaft. Zum Glück ist noch keiner da, außer dem Max natürlich. Er lächelt mich an, als ich den Gastraum betrete.
» Na? Ich hab gehört, du hilfst mir heute?«, fragt er neckend.
Ich verdrehe die Augen, um ihm klarzumachen, dass ich keineswegs freiwillig hier bin, nicke dann aber natürlich.
» Super«, sagt er. » I kann a bissl Unterstützung gebrauchen.«
Ich schenke ihm ein knappes Lächeln, antworte aber wieder nicht. Ich meine das nicht böse, es ist nur, ich habe eine halbe Woche lang kaum ein Wort gesprochen, da kann ich jetzt nicht einfach so die Smalltalk-Taste drücken. Ich wüsste auch gar nicht, worüber ich jetzt mit ihm reden sollte. Das Wetter etwa? Am Ende ist doch alles, was man normalerweise so austauscht, vollkommen banal.
Andererseits bin ich natürlich froh, dass der Max so tut, als hätte er nichts mitgekriegt von meinem Unglück, was natürlich nicht sein kann. Entweder ist er sehr diskret oder er scheint zu spüren, dass ich nicht in der Stimmung zu emotionalen Bekenntnissen bin.
» Magst du Besteck auffüllen?«, sagt er stattdessen und schiebt mir den Kasten mit den Messern und Gabeln hinüber.
Ich nicke wieder, nehme den Kasten und mache mich ans Werk. Normalerweise ist das eine lästige Notwendigkeit, bevor das
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