Die Brillenmacherin
Onkel Alan?«
Wann hatte sie so mit Hawisia gespielt? Hatte die Tochter bei ihr je vor Freude mit den Beinen gestrampelt? Warum kümmerte sie sich nicht um ihr Kind? Sie war eine schlechte Mutter. Oder Mütter waren immer die, deren Aufgabe es war, Windeln zu wechseln, zu stillen, zu trösten – und das ausgelassene Schmusen und Spielen gehörte den Besuchern, die nicht lange blieben.
Viele der am Feuer Lagernden hatten sich aufgerichtet und beobachteten das Schauspiel. Vor deren Ohren konnte sie |318| ihre Warnungen nicht aussprechen. »Gehen wir ein wenig spazieren?«
»Meinetwegen. Aber meinst du nicht, die Kleine wird sich im Dunkeln fürchten?«
»Du hältst sie ja im Arm.«
Sie verließen das Feuer. Catherine steuerte in Richtung der Hänge, die zum Rockingham Forest hinaufführten, fort von Zelten, Pferden, Rittern. Bald wurden Büsche zu Schatten und Bäume zu schwarzen Pfeilern vor einem blauschwarzen Himmel.
»Wo willst du hin? Vergiß nicht, daß wir hier keine gerngesehenen Gäste sind. Dort beim Wald könnten Ketzer lauern, die nur darauf warten, daß ein Unvorsichtiger das Heerlager verläßt, damit sie ihm die Kehle durchschneiden können.«
»Nicht die Ketzer sind die Gefahr. Courtenay ist es.«
Alan blieb stehen. »Was sagst du da? Bist du übergeschnappt?«
»Hör mich an! Wir haben uns täuschen lassen. Ich habe Beweise dafür, daß Courtenay für den Mord an Elias verantwortlich ist. Sir Latimer und Sir Nevill wollen die Kirche reformieren, deshalb bekämpft er sie. Sie sind keine Teufelsanbeter. Er erfindet das, damit man gegen sie zieht. Verstehst du? Courtenay mißbraucht uns, er spielt mit uns, als wären wir seine Eichhörnchen.«
»Was haben sie mit dir gemacht, Catherine? Sind ihre Dämonen auf dich übergesprungen? Courtenay ist der beste Kirchenmann, dem ich je begegnet bin! Er läßt mich zum Langbogenschützen ausbilden, dir hat er eine Schleifbank gekauft, er kümmert sich liebevoll um Hawisia, wenn du auf Reisen bist – siehst du denn nicht, welches Glück wir haben, daß er auf unserer Seite steht?«
»So sieht es auf den ersten Blick aus. Ich habe auch einmal so gedacht wie du. Aber hast du dich nie gefragt, warum er all das tut? Er verfolgt einen Zweck damit. Wir sind seine Werkzeuge geworden.«
»Als ob er das nötig hätte. Ich bin einer von achtzig Bogenschützen |319| in seinem Heer. Und deine Brillen, bei allem Respekt vor deiner Kunst, bedeuten für einen Fürsten wie Courtenay doch keine große Sache. Du nimmst uns viel zu wichtig mit deinen Gespinsten.«
Achtzig Bogenschützen! Thomas Latimer verfügte gerade über zwanzig. »Erkläre mir, warum Nevill nichts davon weiß, daß du überfallen wurdest. Es waren doch seine Männer?«
»Ach, das ist keine Neuigkeit. Ich kann dir sagen, warum. Der Vogt steckt dahinter. Er wollte mich aus dem Weg räumen, damit er May mit diesem Spanneby verheiraten kann. Daraus wird nichts werden. Wenn Braybrooke Castle gestürmt ist, erbitte ich die Erlaubnis, für einen Tag nach Nottingham reisen zu dürfen, und spreche bei Sir Nevill vor. Er wird die Sache klären.«
»Erinnerst du dich, daß ich dir von dem Besuch des Mörders in der Brillenmacherwerkstatt erzählt habe?«
»Ja. Er hat dir die Schleifschalen gestohlen zur Strafe dafür, daß du ihm hinterhergeforscht hast.«
»Ich habe seine Stimme wiedererkannt. Es ist ein gewisser Sligh. Er steht in den Diensten Courtenays.«
»Du wirst dich getäuscht haben.«
»Alan! Ich bin es, deine Schwester! Du weißt, wann ich lüge und wann ich übertreibe, wann ich spiele, wann es mir ernst ist. Wir stecken in der Klemme. Wir haben dem falschen Mann vertraut. Es ist mein Ernst. Glaube mir, ich bitte dich!«
»Du bist nicht bei Sinnen«, sagte er knapp.
»Mag sein. Ich bin entsetzt, weil ich so lange die Bosheit nicht gesehen habe, die im Lager des Erzbischofs haust. Wen er Ketzer nennt, das sind die wahrhaftigen Christen! Ich habe mit Sir Latimer in der Kapelle gekniet, wir haben gebetet. Ich sage dir, noch nie habe ich einen Menschen getroffen, der Gott so nahe steht wie er.«
»Ich will nichts davon hören.«
»Er spricht mit ihm wie mit einem Kameraden!«
»Weil es nicht Gott ist. Weil er mit dem Satan spricht.«
Es war zwecklos. Je verzweifelter sie versuchte, ihn zu |320| überzeugen, desto fester verschanzte er sich. »Ich weiß, du hast viel zu verlieren. Wenn der Erzbischof verlogen ist, dann könntest du kein Langbogenschütze mehr werden. Aber die Wahrheit muß
Weitere Kostenlose Bücher