Die Brillenmacherin
uns wichtiger sein als Bequemlichkeit und Freude. Den Bedeckten Rittern ist sie sogar wichtiger als ihr Leben.«
»Catherine, sie haben dir das Herz vergiftet. Laß uns gemeinsam zum Erzbischof gehen und ihn bitten, daß er dir hilft.«
Sie erschrak bis in das Mark. »Er darf auf keinen Fall davon erfahren, wie ich denke! Schwöre mir, Bruder, daß du zu niemandem etwas davon sagst, was wir gerade gesprochen haben. Schwöre, daß du schweigen wirst!«
Er seufzte. »Du brauchst Hilfe.«
»Schwöre es!«
»Sie verführen dich, wir müssen dir helfen.«
»Nein! Du weißt nicht, was du da redest. Ich bin deine Schwester, du wirst doch deine Schwester nicht ausliefern? Schwöre, daß du schweigst!«
Er brummte: »Ich schwöre.«
Courtenay hatte Erfolg gehabt bei ihm, so, wie er beinahe auch sie nach seinem niederträchtigen Willen geformt hätte. Alan gehörte zum Feind. »Gibst du mir Hawisia?« Unsicher streckte sie die Hände nach ihr aus. Er meinte es nicht böse, er schätzte die Kleine, aber womöglich würde er sie dem Erzbischof ausliefern in dem Glauben, ihr damit einen Gefallen zu tun. Alan selbst war nicht böse, und doch wurde er von einer bösen Kraft gelenkt.
Er reichte das Kind herüber. »Wo hast du überhaupt gesteckt? Als ich dich in der Werkstatt besuchen wollte, war alles fortgeräumt.«
»Was meinst du damit?«
»Die Schleifbank, das Bettlager, der Vorhang. Es ist alles verschwunden. Hat dir Courtenay einen neuen Arbeitsplatz eingerichtet?«
Sie sollte nicht zurückkehren nach Newstead Abbey! |321| Courtenay hatte längst ihren Tod geplant, als er sie nach Braybrooke Castle schickte. Ihre Spuren waren verwischt, sie sollte aus der Welt geschafft werden! Catherine brach kalter Schweiß aus. Für wann hatte die finstere Exzellenz ihr Ende bestimmt? Sollte sie heute noch sterben, vielleicht genau dann, wenn sie in sein Zelt kam, im Glauben, er würde ihr eine Botschaft für Anne von Ashley übergeben?
Besser, sie machte sich sofort aus dem Staub. »Courtenay hat mich nach Braybrooke Castle geschickt. Ich sollte für ihn spionieren.«
»Warst du schon bei ihm?«
»Ja. Vor der Rückkehr wollte ich nur kurz mit dir reden. Leb wohl, Alan.«
»Leb wohl. Schade, daß …« Er verstummte.
»Wir sehen uns bestimmt wieder.« Sie drückte ihm einen Kuß auf die Wange.
Auf ihrer Flucht geriet sie in ein Gerstenfeld. Die Halme waren erst knöchelhoch gewachsen, aber die Stoppeln vom Vorjahr bohrten sich tief in die Hornhaut von Ferse und Ballen. Sie blieb stehen, sich die schmerzenden Füße zu reiben, und horchte, ob man ihr nachjagte. Sachte blies der Wind über das Feld, die Hälmchen wisperten zu Tausenden. Es gab ihr das Gefühl von Einsamkeit. »Wir schaffen das, Hawisia«, flüsterte sie. »Wir schaffen das.«
Nach dem Feld streichelte Gras ihre Füße. Es war weich wie Butter. Dann knirschte Sand unter ihren Sohlen: Die Straße. Sie würde das Dorf finden, und vom Dorf war es leicht, zur Burg zu gelangen. Die Zelte des Heerlagers glühten eine halbe Meile entfernt, eine Drohung waren sie, ein Feuerreiter, der sie verfolgte.
Sollte sie nicht jemanden suchen im Dorf, der zu Nevill eilte, um Hilfe zu holen? Die finstere Exzellenz hatte achtzig Langbogenschützen, achtzig! Ohne Nevill war Braybrooke verloren. Wie aber konnte sie sich in ein Haus hineinschleichen, wo doch Courtenays Männer bei den Bauern einquartiert waren? |322| Ihnen in die Hände zu fallen bedeutete das Ende, denn der Erzbischof würde zweifellos begreifen, was sie vorgehabt hatte.
Der Schuster kam ihr in den Sinn. Er bewohnte ein kleines Haus; wenn es über zwei Kammern verfügte, war das viel. Und wer würde gern bei einem Greis unterschlüpfen, der kaum ein Süppchen zu kochen vermochte?
Sie folgte der Straße, bis ihre nackten Fußsohlen das kalte Steinpflaster der Brücke ertasteten. Erst die Kirche, sagte sie sich, und dann das zweite oder dritte Haus. Sie tastete entlang der Brüstung, folgte dem Friedhofszaun. Eine Tür, noch eine. Das mochte es sein. Drinnen schnaufte jemand im Schlaf.
Vorsichtig lehnte sie sich gegen das Holz. Es schabte über den Boden, dann stand sie in einer pechschwarzen Kammer, es roch nach Leder und Fett und altem Mann. »Schuster?«
Das Schnaufen ging unverändert. Sie würde ihn rütteln müssen, womöglich hörte er schwer. Als sie sich zum Atemgeräusch hintastete, stieß sie gegen einen Schemel. Metallenes rutschte herunter und klingelte auf den Boden. Der Schläfer fuhr auf.
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