Die Brillenmacherin
fütterte es. Latimer wollte seine Wolle scheren, obwohl er, Courtenay, es zur Weide geführt, gefüttert und aufgezogen hatte. Dafür sollte er sterben. Wenn Catherine Rowe zerstört wurde, sollte am gleichen Tag auch Thomas Latimer den letzten Atemzug tun. Morgen noch vor Sonnenuntergang sollte Catherine ihn in den Tod stürzen, und dann, nun, wer war besser dazu geeignet, Catherine zu töten, als Anne, die sehr wohl erkennen würde, wer ihren Mann umgebracht hatte?
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»Du bist noch auf?«
Es war Anne. Sie war eingetreten, ohne anzuklopfen. Entgeistert sah er sie an.
Sie lächelte und wiederholte: »Du bist noch auf?«
Natürlich war er noch auf. Catherine befand sich in Courtenays Lager, und er fürchtete, sie nie wiederzusehen. Zuerst hatte er gedacht, er sei hungrig. Er konnte aber kein Essen anrühren. Das Rumoren in seinem Bauch war etwas anderes. Eine Krankheit, eine ihn zermarternde Furcht um das Weib Catherine Rowe. Er schämte sich deswegen, er verfluchte das Poltern unter seinem Brustkorb. Und nun kam zu allem Überdruß auch noch Anne, als wollte sie ihn dabei beobachten, wie er in seinem Gemach auf und ab ging.
Oder hörte sie im Zimmer unter ihm seit einer Stunde seine Schritte? Er schluckte.
Annes Blick wanderte hinüber zur Bank beim Kamin. Das Tablett stand dort, das man ihm aus der Küche gebracht hatte. »Du sorgst dich?«
»Ich habe jemanden zu Courtenay geschickt, um Doktor Hereford auszulösen.«
»Ja, ich weiß. Um die Brillenmacherin machst du dir Sorgen?«
»Um sie?« Er lachte auf, es mißglückte: Das Lachen fiel leblos zu Boden. Nicht einmal ein Fremder hätte ihm die Erheiterung geglaubt. »Natürlich nicht. Diese Frau bedeutet nichts. Ich ängstige mich, daß der Erzbischof sich weigern könnte, den Doktor herauszugeben.«
Annes Wangen röteten sich. Sie wußte, daß er log. Warum schlug nicht er die Augenlider nieder, sondern sie? Eilig fügte er hinzu: »Wenn Nicholas Hereford stirbt, stirbt die Reformation.« |314| Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte und nun seiner Mutter gegenüberstand. Hör auf zu lügen! befahl er sich. Catherine hatte er geraten, die Wahrheit zu sagen, obwohl sie das den Hals kosten konnte. Er hatte sie damit in Todesgefahr gebracht! Selbst aber war er zu feige, ehrlich zu seiner Frau zu sein.
»Thomas, ich bin gekommen, weil ich dir etwas sagen möchte.«
Die dünnmäuligen Hunde an der Wand, das Reh, das die Augen verdrehte, sie unterbrachen ihre Hetzjagd. Es war sehr still im Zimmer.
»Es ist so, daß ich dich seit Jahren liebe. Ich konnte es dir zuerst nicht zeigen, weil ich zu stolz war, und dann, weil du mich verletzt hattest.«
Hatte sie sich die Haare aus der Stirn gezupft? Anne besaß auf einmal eine hohe Stirn, wie die kindlichen Frauen, die man bei Hofe bewunderte. Und schimmerten nicht die Augenlider in roter Farbe? Fliederduft schwebte durch den Raum. Anne tadelte ihn nicht. Sie versuchte ihn zu gewinnen.
Oh, hätte sie das eher getan! Jahre eher, selbst Wochen! Sein Mund war trocken. Um das Herz legte sich eine harte Schale, er fühlte nichts; er wußte nicht, was er ihr hätte erwidern können, um sie zu erfreuen. Auch ich liebe dich? Das war gelogen. Du bedeutest mir viel? Ebenfalls gelogen. Im Augenblick bedeutete sie ihm nichts. »Laß uns dieses Gespräch in ein paar Wochen führen. Ich bin nicht bereit dafür.«
»Die Belagerung hindert dich daran, über so etwas nachzudenken?«
Er preßte die Lippen aufeinander.
Anne war kurz davor zu weinen, sie beherrschte sich mit Mühe. Sie nickte zum Zeichen dafür, daß sie verstand, und wendete sich um. Sie machte die vier Schritte zur Tür. Dann fragte sie, ohne ihn anzusehen: »Seit wann liebst du sie?«
»Von wem sprichst du?«
»Thomas! Du machst es nicht besser dadurch, daß du es leugnest. Ich will die Wahrheit wissen. Seit wann liebst du sie?«
|315| »Du meinst die Brillenmacherin?« Er wußte nicht, welche Kraft diese Worte über seine Lippen gebracht hatte. Sie zu hören, trieb das Herz zu einem panischen Galopp an. »Ich liebe sie nicht. Das ist doch Unfug. Vor einigen Tagen habe ich sie nicht einmal wiedererkannt, als Nevill sie auf dem Marktplatz von Nottingham bestrafte.«
»Also ist es ganz frisch.«
»Hast du mir nicht zugehört? Du bildest dir das ein.«
»Du wirst sie dir als Gespielin nehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
»Wie kannst du so von mir denken! Ich breche nicht die Ehe.«
»Du kannst nichts
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