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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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König Artus gehandelt? Hätte er mit der Faust dreingeschlagen, ohne nachzudenken? Sicher nicht. Er hätte sich beraten mit seinen engsten Vertrauten, und er hätte sich ernsthaft gefragt, ob er womöglich Fehler gemacht hatte.
    Richard strich über den Mantel von blauem Samt, der seine Schultern kleidete. Er nahm die schwarze Samtmütze auf, streichelte die weiße Feder, die sie schmückte. Der Georgstag. Man hatte Georg zum Schutzheiligen des Hosenbandordens erkoren, am 23. April wurden für gewöhnlich Neuzugänge verkündet, wenn einer der vierundzwanzig Ritter gestorben war. Heute würde kein neuer Ritter in den höchsten Orden des Königreichs aufgenommen werden. Es würde nicht einmal eine Versammlung geben. Dennoch gehörte es sich, fand er, daß man am Tag des heiligen Georg die Ordenstracht trug.
    |326| Hatte er also Fehler gemacht? Er erhob sich und trat an das schwarze Kistchen neben dem Bett. Den Schlüssel klaubte er aus dem Beutel am Gürtel, schnapp-schnapp, schloß er die Kiste auf. Diese Schuhe hatten ihm einmal gepaßt. Zärtlich nahm er sie, roch daran, fuhr mit dem Daumen über die Perlen, die am roten Samtstoff hingen. Zehn Jahre alt war er gewesen, als man ihn in Westminster Abbey krönte, zehn Jahre alt, als er diese Schuhe trug. Die Zeremonie, die Aufregung, die Blicke von vierzigtausend Menschen – er war damals so erschöpft gewesen, daß ihn Sir Simon Burley auf den Schultern zum Palast zurücktragen mußte, mitten durch die jubelnde Menge hindurch. Im Gewühl hatte er einen der Schuhe verloren. Welcher war es gewesen? Dieser hier? Man spielte ihm zu Ehren Trompeten, Hörner, Schalmeien. Er aß an einer ganz gewöhnlichen Straßenbude heiße Makrelen.
    Thomas Mowbray brachte ihm damals den verlorenen Schuh zurück. Ein Jahr älter war der Freund, was hatten sie für Spaß zusammen. Gleich nach der Krönung machte ihn Richard zum Dank für seine Freundschaft zum Earl von Nottingham. Thomas Mowbray. Auch er, der Jugendfreund, gehörte plötzlich zu seinen Feinden.
    Hatte er Fehler gemacht?
    »Simon«, rief er.
    Die Tür öffnete sich, und der Lehrmeister trat ein. Nie hatte Simon Burley ihn im Stich gelassen, seit Richards Kindheit. Er beriet ihn, er blieb auch jetzt bei ihm, als sich alles gegen ihn wendete. Richard kannte ihn gut. Er hatte gewußt, daß Simon vor der Tür warten würde, wenn ihm die Leibdiener sagten, daß der König sie hinausgeschickt hatte. Der Lehrmeister kannte Rücksichtnahme. Und er wußte, welche Kleidung sich gehörte. Den blauen Mantel des Hosenbandordens trug er und die schwarze Samtmütze mit Feder. Sie stand dem ergrauten Ritter gut zu Gesicht.
    Was verdankte Richard ihm nicht alles! Simon führte die Kammerritter an, er bündelte sie zu einer fähigen Leibgarde, wer lange nicht bei Hofe erschien, wurde von ihm gemahnt, |327| nur die Treuesten konnten vor ihm bestehen. Ein einziges Mal war Richard ihm böse gewesen, als das Gerücht umging, Sir Burley sei der Geliebte der Prinzessin von Wales, Richards Mutter. Er hatte ihn zur Rede gestellt, und Simon sagte: »Ich habe einen großen Fehler gemacht.« Seinen Lehrer so zu sehen, den Kopf geneigt, das Gesicht gerötet – Richard konnte nicht anders, als ihm das Leben zu schenken.
    Sir Burley wußte, wie man Fehler erkannte.
    Der alte Ritter kniete am Boden. Richard sah ihn an, erschrak. Wie lange hatte er ihn so knien lassen? »Bitte«, sagte er.
    Simon erhob sich.
    Im Türrahmen erschienen Diener in rot-weißen Livreen. »Laßt uns allein«, befahl Richard. »Und schließt die Tür!« Was wollten sie von ihm? Man behandelte ihn wie ein Tier, das ununterbrochen gestriegelt und gekämmt werden mußte. »Lieber Freund.« Er legte Simon die Hand auf die Schulter. »Wäret Ihr nicht, wie armselig wäre mein Leben! Ich würde die Bücher über König Artus, Parcival und Gawayn nicht kennen. Ohne Euren Rat hätte ich so manches nicht begriffen. Und ich hätte nie die wunderbare Kaisertochter geheiratet.«
    »Vergeßt nicht Sir Michael de la Pole. Wir sind gemeinsam –«
    »Ich weiß.« Natürlich mußte Simon ihn an seinen zweiten Lehrer erinnern. Sie hatten ihn abgesetzt, den von ihm, dem König, berufenen Kanzler des englischen Königreiches einfach abgesetzt, als stünde es in ihrer Macht zu herrschen und nicht in seiner. »Geht es ihm gut?«
    »Den Umständen entsprechend.«
    »Wo waren wir stehengeblieben? Meine Frau. Ihr habt damals geahnt, daß es mit dieser Caterina Visconti aus Mailand nichts werden

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