Die Brillenmacherin
schüttelte den Kopf. »Nein, Anne, nein.«
»Daß ich sterben würde, wußte ich, aber daß –« Sie hustete. Es zerriß ihr die Eingeweide vor Schmerz. Etwas Warmes, Weiches quoll über ihre Lippen. Sie schluckte. »Daß mein Tod –«
»Du sollst leben!« Tränen traten in seine Augen. »Anne, bitte, du darfst nicht gehen.«
Welch guter Tod!
Da wurden ihre Füße kalt. Sie erschauderte. Etwas geschah mit ihr. »Nimm meine Hand! Ich fürchte mich, Thomas.«
Er nahm ihre Hand.
Immer wenn sie sich nach dem Tod gesehnt hatte, war es eine Befreiung gewesen, an die sie gedacht hatte, eine Erlösung. Aber nicht etwas Frierendes, Kaltes, Widernatürliches, das über ihre Beine hinwegzog. »Du mußt mir etwas vergeben.«
»Alles, alles. Wenn du mir versprichst, nicht zu sterben.«
|351| »Ich habe dich verraten, Thomas. Ich wollte dir Gutes tun, und dabei habe ich dich hintergangen. Courtenay –« Sie würgte, hustete. »Ich habe für ihn spioniert, um die Bedeckten Ritter zu zerschlagen.«
Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Thomas ließ ihre Hand los. »Warum … Warum hast du das getan?«
Sie verlor ihn! Heute verlor sie ihn für immer! »Ich liebe dich«, stammelte sie, »ich konnte dich nicht fortgeben. Deine Freunde haben dich zum falschen Glauben gezerrt, sie haben dich vergiftet, ich mußte das verhindern.« Es war still, nur ihr röchelnder Atem war zu hören. »Verzeihst du mir?«
Seine Hand nahm die ihre. Er näherte sich ihrem Gesicht. »Anne, ich verzeihe dir. Wenn auch du mir vergibst. Ich hätte dich einweihen müssen, hätte dir vertrauen sollen! Und ich hätte nie aufhören dürfen, dich zu lieben. Vergibst du mir mein Versagen?«
»Ich vergebe dir«, hauchte sie. Ein neuer Schmerz erwachte in ihrem Bauch, nicht das Beißen und Glühen der Pfeilspitze, sondern eine Trauer, die sie längst für besiegt gehalten hatte. Wie hatte ihre Ehe scheitern können! Warum war es ihnen nicht gelungen, das zu verhindern?
»Catherine, hilf mir, sie in ihr Bett zu tragen.«
Anne versuchte, sich aufzurichten. »Laß mich hier sterben, in deinen Armen.«
»Du wirst nicht sterben.« Thomas griff ihr unter die Schultern. »Catherine, nimm die Füße!«
»Ich sterbe.«
»Du stirbst nicht. Willst du wissen, warum?«
Sie wurde in die Höhe gehoben. Etwas brach in ihrem Bauch entzwei. Vor Schmerzen stöhnte sie.
»Du wirst kämpfen. Hörst du mich, Anne? Es lohnt sich zu kämpfen. Ab heute wird alles anders werden zwischen uns.«
Die Mauern schwankten, Sohlen scharrten auf den Treppenstufen, kurz darauf setzte stilles Säuseln ein. Anne schloß die Augen.
|352| Catherine tat, was man ihr sagte, in dumpfem, mattem Gehorsam. Sie half Sir Latimer, Lady Anne in ihr Bett zu legen, richtete die Beine aus. Dann stand sie im Zimmer, während der Ritter flüsternd auf der Bettkante saß. Catherines Arme hingen schlaff herunter, das Gesicht war taub, das Herz klopfte gehorsam und stetig. Wenn die Sonne untergeht, dachte sie, wird Hawisia ihren letzten Atemzug tun. Natürlich verschwendete Sir Latimer keinen Gedanken mehr an die Befreiung ihrer Tochter. Seine Frau brauchte seine Aufmerksamkeit.
Zahlreiche schwere Stiefel kamen die Treppe herauf. Es pochte. »Sir Latimer?« rief eine Männerstimme.
Der Ritter erhob sich. »Ja?«
Bewaffnete traten ein, unter ihnen der Captain, ein kleiner schwarzhaariger Mann mit Narben im Gesicht. Sie hielten Alan in ihrer Mitte, und Philip Repton. »Dieser Mann behauptet,« sagte der Captain, »Euren Mörder auszuliefern.«
Repton starrte Thomas Latimer an, als sei er ein Fabelwesen. »Du lebst?«
»Ja, ich lebe.«
Repton kniete nieder. »Ich bin in deiner Hand, Thomas.« Er neigte den Kopf. »Ich ergriff diesen Burschen im Gebüsch hinter der Burg. Leider erst, nachdem er geschossen hatte. Sieh es als Beweis meiner Reue an, daß ich ihn dir ausliefere.«
»Du hast die Stirn, mir unter die Augen zu treten und Gnade zu erwarten?«
»Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht. Es wird lange Zeit dauern, ehe du mir wieder vertrauen kannst, ich weiß das. Aber ich erbitte heute noch nicht deine Vergebung als Freund, sondern allein deine Vergebung als Christ. Christus löscht unsere Schuld. Er befahl uns, seinen Nachfolgern, daß auch wir den anderen vergeben. Du erinnerst dich, wie wir einmal davon sprachen? Ich bitte dich: Schenke mir das Leben. Ich kann dir nützlich sein! Ich kenne das Heer Courtenays genau, und ich weiß um seine Pläne.«
»Steh auf!« fauchte
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