Die Brillenmacherin
sie so nahe an die Flammen, daß die Hitze ihr den Atem raubte. Bald glühten das Gesicht und die Hände. Das Zittern setzte aus, kehrte wieder, setzte aus. Die Zähne klapperten aufeinander, und selbst die Zunge wollte ihr nicht recht gehorchen: Sie zuckte, versteifte sich, schauderte. Catherine sah sich um. Thomas Latimer hielt Hawisia auf dem Schoß und ließ sie mit seiner Brille spielen. Die Linse malte einen hellen Punkt an den Baumstamm hinter ihnen.
Natürlich! Man mußte eine Linse vor das Loch halten. Auf diese Weise ließ sich mehr Licht hindurchlocken. Es wurde von der Linse auf einen Strahl zusammengefaßt und konnte sich so durch die Öffnung zwängen.
Catherine versuchte ein Lächeln. Es gelang. Aber seltsamerweise lockte es die Tränen hervor. Sie schüttelte sich. Nicht weinen! Wenn sie damit begann, würde sie nicht wieder aufhören können.
»Nichts haben wir«, sagte Nevill. »Selbst Sligh ist uns entwischt.«
Cheyne legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, wegen Alan. Dein Bruder war tapfer. Sich Sligh in den Weg zu stellen! Wäre er nicht gewesen, hätte Sligh dich erschlagen. Wir hätten dich nie und nimmer rechtzeitig erreicht.«
»Er wollte Schafe züchten«, stammelte sie. »Er wollte es zu etwas bringen. Heiraten wollte er.« Es klang in ihren Ohren, als würde sie jedes Wort zweifach sagen. Stoßweise atmete sie, in Stößen sprach sie, manches Wort laut, manches leise, ohne daß sie es beeinflussen konnte. Was geschah hier mit ihr? »Ich habe ihn geliebt. Und ich habe meinen Mann geliebt. Courtenay wird büßen, dafür sorge ich.«
»Du kannst den Erzbischof nicht töten. Selbst wenn du an ihn herankämst – sie würden dich zur Strafe vierteilen, eine Bischofsmörderin! Wer kümmert sich dann um Hawisia?«
»Und vorher werde ich dafür sorgen, daß er sich an das Jüngste Gericht erinnert. Er wird sich fürchten, wie er sich noch nie gefürchtet hat.«
|417| »Cheyne, gib ihr deinen Mantel«, bat Latimer. »Sie friert immer noch.«
»Heute nacht wird er wünschen, er hätte Elias und Alan am
Leben gelassen und all die Menschen in Braybrooke, die er sich aufs Gewissen geladen hat.«
Cheyne legte ihr den Mantel über die Schultern, behutsam.
Nevill schüttelte den Kopf. »Niemand von uns geht zurück nach Canterbury. Wir sind zu dritt. Courtenay hat eine Hundertschaft, mindestens.«
»Ich gehe«, sagte sie.
»Sieh dich an! Was willst du ausrichten?«
»Wollt Ihr wissen, wo Courtenay Hereford verbirgt?« Sie sah einen nach dem anderen an.
»Natürlich wollen wir das.« Cheyne seufzte. »Aber wie willst du ihm dieses Geheimnis entlocken? Nichts kann ihn dazu bringen, es preiszugeben.«
»Ich brauche Eure Brille, Sir Latimer. Dazu einen Spiegel.«
»Ich gebe Euch meinen«, bot Cheyne an. »Ich hasse ihn regelrecht, seit ich erkennen mußte, welche Teufelin Margaret ist.«
»Sie ist es nicht, Sir Cheyne, ich erkläre es Euch später. Aber wenn Ihr ihn mir leiht, bin ich Euch dankbar. Ein Rohr … An ein Rohr muß ich herankommen.«
»Sie verliert den Verstand«, sagte Nevill.
Latimer schüttelte den Kopf. »Gib ihr dein Fernrohr.«
»Mein Fernrohr? Was soll das bringen?«
»Ihr besitzt ein Fernrohr«, murmelte sie. »Das ist gut. Eine Kerze kann ich in Canterbury stehlen.« Sie stand auf. Das Zittern verebbte. Auch ihre Sprache wurde klarer. »Sir Latimer, seid so gut und gebt Hawisia den Rittern Cheyne und Nevill. Sie werden auf die Kleine aufpassen. Hat Euer Pferd genug geruht?« Sie blinzelte die letzten Tränen fort. »Bringt mich nach Canterbury.«
Nun stand auch Nevill auf. »Niemand geht nach Canterbury.«
Sie maßen sich mit den Augen. »Ihr habt recht, verehrter |418| Ritter Nevill. Courtenay wird Herefords Versteck nicht verraten, es sei denn, der Teufel persönlich fragt danach. Seht Ihr diese Bäume? Ihr könnt ihre Stämme erkennen, weil sie vom Licht der Feuerstelle beschienen werden. Seht Ihr jene dort hinten? Sie sind graue Schatten für Euch. Und hinter ihnen erkennt Ihr nur die Nacht. Was Eure Augen wahrnehmen, ist das, was das Licht ihnen preisgibt. Ich bin die Frau des Brillenmeisters Elias Rowe. Ich habe gelernt, das Licht zu regieren. Ich kann Dinge erscheinen lassen, die zuvor nicht da waren, und Dinge verschwinden lassen, an denen niemand gezweifelt hätte. Glaubt es, oder glaubt es nicht: Ich werde dafür sorgen, daß Courtenay heute nacht der Teufel erscheint. Ihr vertraut Eurem Arm, weil Ihr ein Meister des Schwertes seid.
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