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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Benehmen verprügelt und ins Verlies gesperrt worden war.
    »Du gestattest?« Alan setzte sich. »Bist schon lange hier, was? Ja, ich weiß, ich sehe auch nicht besser aus. Werde aber damit warten, mir die Blutkruste herunterzuwaschen. Ich will die Wunden nicht wieder öffnen. Du wirst wohl oder übel diese Nacht mit einem dreckigen Halunken verbringen müssen.«
    Asseln flohen vor seinem Schatten in die Bodenspalten. Im kleinen Fenster hing ein Spinnengewebe wie ein dünnes graues Tuch.
    »Da haben sie mir die finsterste Kammer gegeben, die sie hatten.« Er seufzte. Wäre die Horde des Robin Hood am Leben, er hätte sich ihr angeschlossen. Was bedeutete es jetzt noch, ob er raubte und mordete? Welche Hoffnung hatte er? Wenn er sich für die neue Saat verschuldete, wußte es bald das ganze Dorf, und einem, der über Jahre eine Schuld abarbeiten |90| mußte, würde der Vogt May sicher nicht zur Frau geben. Vielleicht lieh ihm auch niemand etwas. Er mochte sich genausogut als Tagelöhner verdingen. May war verloren. »Weißt du, daß man mir May genommen hat, das schmerzt mich mehr als das zerstörte Haus.«
    Er zog einen Halm aus dem Bettlager und erhob sich. Wenigstens klares Mondlicht sollte die Nacht ihm bescheren. Wie ein Schwert bohrte er den Halm in das Spinnennetz und drehte ihn im Kreis, bis sich die Fäden darum gewickelt hatten. Sie knisterten und versuchten, sich am Rand des Fensters festzuklammern. Alan warf den Halm hinaus.
    Eine flinke Bewegung: acht Beine trugen einen johannisbeergroßen Körper zum Fensterwinkel hin. Die Spinne drückte sich tief in die Spalte hinein.
    Alans Gewissen erwachte. Hatte er ihr nicht genauso Heim und Herd zerstört, wie man es ihm angetan hatte? Nun fürchtete sie sich, auch noch das Leben zu verlieren. Womöglich trauerte sie. Es war kein Fliegentier im Netz gewesen. Hungerte die Spinne? Sie hatte gehofft, in der Nacht einen Bissen zu fangen, und nun war ihre Hoffnung vernichtet.
    Er blies sie an. Sie zwängte sich noch tiefer in den hölzernen Fensterrahmen hinein. »Entschuldige«, sagte Alan.
    Lange saß er auf dem Strohsack, das Gesicht in die Hände vergraben. Es wollte sich ihm kein Ausweg zeigen. Was blieb, war noch härtere Arbeit, ohne die Aussicht, May oder Schafe oder sonst irgend etwas zu gewinnen; Arbeit für das nackte Überleben. Oder der Kampf: Er konnte nach dem Pergament suchen, das er damals in der Kanzlei von Nottingham Castle erhalten hatte, und mit diesem Schriftstück nach London wandern. Dort würde er vermutlich in einem Kerker landen, der diese Kammer wie eine gemütliche Stube erscheinen ließ, und nach ein paar Tagen den Strick um den Hals gelegt bekommen. Aber würde er sich nicht in all den Jahren, die er den Rücken auf dem Feld beugte, immer fragen, ob er nicht vielleicht doch zum König vorgedrungen wäre?
    Er entschloß sich, am kommenden Morgen zu entscheiden. |91| Hatte die Spinne ihr Netz wieder gesponnen und es ansehnlich in das Fenster gehängt, dann würde er zu seinem Landstück zurückkehren und sich für eine neue Ernte verschulden. Floh die Spinne, dann würde er nach London gehen, ob es ihn das Leben kostete oder nicht.

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    Catherine begann, die Menschen in Wissende und Unwissende einzuteilen. In der Bottle Lane wohnten Unwissende. Sie sahen ihr mit traurigen Blicken nach. Die Gänsefrau, der Gewandschneider schüttelten ihr stumm die Hand. Der Mann aus York sagte: »Welches Unglück!« Auch auf dem Marktplatz wich man ihr nicht aus. Sie konnte mit dem Geld, das Burgwhenna ihr lieh, kaufen, was sie wollte.
    Die Wissenden waren anders. Angst blitzte in ihren Augen. Sie mieden Catherine, sie logen und zischelten und gaben knappe Antworten. Der Coroner gehörte dazu. Die reichen Kaufleute. Elias’ alte Auftraggeber in der Stadt: Sie wiesen sie bereits an der Tür ab. Die Karmeliter behaupteten, sie hätten nie Lesesteine oder Eingläser erworben. Im Castle hieß es, man sei gut versorgt und es sei keine Brille schadhaft. Händler, die über Jahre die Dienste des Brillenmachers in Anspruch genommen hatten, behaupteten, ihn nicht zu kennen. Am Gürtel der Leute baumelten Brillenbüchsen, in die Elias’ Zeichen eingraviert war. Mochte sein, daß sie nichts mit der Sache zu tun hatten. Aber sie fürchteten sich, und der Grund dafür mußte sein, daß sie etwas wußten, das Catherine verborgen war. Sie kannten den Mörder.
    Offenbar wagten sie es nicht, ihn zu stellen. Er mußte ihnen allen überlegen sein oder

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