Die Brillenmacherin
Erzbischof vor Alans Gesicht. »Du kennst die einfachste Sitte nicht? Es ist üblich, daß du nun den Ring an meiner Hand küßt.«
Zähneknirschend drückte Alan seine Lippen auf das Gold, auf die zwei Gesichter und auf das Kreuz. »Ihr müßt verzeihen, Herr Erzbischof, daß mein Herz im Augenblick für anderes brennt als dafür, Ringe zu küssen. Ich will mein Haus zurückhaben und mein Pferd, und ich will, daß dieser Nevill für die Ungerechtigkeit büßt, die er begangen hat.«
Courtenay holte aus und schlug ihm ins Gesicht. »Wach auf, Dummkopf!«
Alan preßte die Lippen aufeinander. Seine Wange brannte.
In Gedanken mordete er den Erzbischof hundertfach. Mochte es in seinem Blick liegen, es kümmerte ihn nicht.
»Du bist sein Eigentum, er kann anstellen, was er möchte. Und zwar mit dir und genauso mit dem, was du dein Eigentum nennst.« Courtenay wölbte eine Augenbraue. Er sah sehr zufrieden aus. »Wie heißt du?«
Alan schwieg.
»Du kannst diese Nacht im Gästehaus bei der Pilgereiche schlafen, oben im Ort. Dort gibt es auch Nahrung und Wasser für dich. Morgen kehrst du nach Hause zurück. Du hast Kraft, das gefällt mir. Zu Boden gestoßen, und doch steht er wieder auf. Gut möglich, daß wir uns wiedersehen.«
»Darauf lege ich nicht den geringsten Wert.« Damit wendete Alan sich um und ging zum Tor hinauf. Die Knochen schmerzten ihm bei jedem Schritt, aber Augenblicke später hatte er das vergessen über der Hitze in seinem Kopf, die danach rief, |88| Unheil anzurichten, zu brennen, zu zerstören. Es ist üblich, daß du nun den Ring an meiner Hand küßt – die Worte des Erzbischofs peitschten Alans Zorn auf wie der Blasebalg das Schmiedefeuer. Er war zerschlagen und besitzlos vor diesen Courtenay getreten, und der hatte die Stirn, ihm Fehler vorzuzählen und dann seinen Ring hinzuhalten, damit er ihn küsse. Er war wie Nevill, ein Herr, einer, der nichts wußte von der Mühsal der Feldarbeit, vom Hunger, der mit unter die Bettdecke kroch. Die Bauernaufstände hatten diese aufgeblasenen Faulenzer nicht zum Nachdenken gebracht, nichts konnte sie zum Nachdenken bringen, sie waren überhaupt nicht fähig, die Welt zu begreifen.
Neben dem Tor lehnte sich ein kleines Haus mit moosbedeckten Dachschindeln an die Stiftsmauer. Eine Bank stand dort im Freien. Darauf saß ein schwarzbekutteter Mönch und putzte Rüben.
»Was tust du hier?« fuhr Alan ihn an. »Hast gelauscht und Maulaffen feilgehalten, was? Ihr habt auch nichts Besseres zu tun, Mönchspack!«
»Ich bin Pförtner.«
»Dann öffne das Tor, Pförtner!«
»An deiner Stelle wäre ich ein wenig freundlicher.« Der dicke Mund des Pförtners schmatzte die Worte. Die Lippen sahen nahezu weiblich aus, waren aber dafür doch zu groß und schwulstig. »Sonst müßtest du morgen gut überlegen, ob du deinen Gerstenbrei ißt oder nicht.«
»Warum das? Willst du mich vergiften?«
»Nein. Aber vielleicht schwimmt ein wenig Speichel obenauf.«
Alan rang mit sich. Wollte er überhaupt in diesem Gästehaus schlafen? Es drängte ihn, Land zwischen sich und den Erzbischof zu bringen. Andererseits würde er sonst die Nacht im Sherwood Forest verbringen müssen. Eine unangenehme Vorstellung. Er legte keinen Wert darauf, in der Dunkelheit von Halsabschneidern überrascht zu werden, die dem Galgen entwischt waren. Und dieser Pförtner – was konnte er für das Geschehene? |89| »Es tut mir leid. Ich habe alles verloren. Und daß ich gerade dem Erzbischof den Ring küssen durfte, hat mich nicht getröstet, im Gegenteil.«
»Nichts für ungut. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: Mach dir das nächste Mal bewußt, mit wem du redest. Hättest du mit dem König so gesprochen? Der ehrwürdige Vater steht ihm in wenig nach.«
»Wenn diese Herren keine Gerechtigkeit kennen, haben sie auch keine Verehrung verdient. König, Erzbischof, Earl! Ich will gern den Hirten folgen, aber ist es nicht ihre Pflicht, die Schafe vor den Wölfen zu beschützen?«
»Du meinst zu wissen, was Gerechtigkeit ist? Die Wut blendet dich, junger Freund. Sei vorsichtig! Kein Herr sieht gern, daß sich sein Knecht über ihn stellt.« Er öffnete das Tor. »Um die Eiche herum, dort drüben, das große Haus.«
Bald fand sich Alan in einer Besenkammer wieder. Der Strohsack auf dem Boden war dutzendfach geflickt. Man hatte es offenbar irgendwann aufgegeben, seine Risse zu nähen: Büschel von gelben Halmen ragten aus ihm heraus. Eine Vogelscheuche war er, die für ungehöriges
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