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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ein Wiedersehen gewünscht. Führt uns zu ihm!«
    »Für diese freche Rede verdienst du einen Tritt in den Arsch. Ihr habt Glück, daß seine Exzellenz längst ein Treffen befohlen hat. Ich hätte Courtenay davon abgeraten.« Er stieß die Tür weit auf. »Zuerst müßt ihr allerdings lernen, euch in seiner Gegenwart richtig zu benehmen.«
    Die Abtei erwies sich als ummauerte Stadt. Es fehlte an nichts. Sie passierten Scheunen und Ställe, Walkmühlen, eine Schmiede, eine Bäckerei. Zimmermänner sägten Holz zurecht, Männer in Kutten gruben Beete um. Eine Brauerei gab es, Ziegel wurden getrocknet, Brennöfen geheizt. Das Herz der Abtei bildete die Kathedrale. Der Hagere führte sie geradewegs darauf zu. Steinerne Streben jagten zum Himmel hinauf, die Wände bildeten eine Brücke zu den Wolken. Spitzen, Türmchen, Kanten, Hauben, alles wies in die Höhe: Auf zum Himmel! schien das Bauwerk zu rufen, und es streckte sich so |134| hoch, daß Catherine der Nacken schmerzte, als sie hinaufsah. Untiere blickten auf sie herab. In den Wolken, wo das Kirchengebirge endete, stand Maria in einem Mauerschlund, das Jesuskind auf dem Arm, und neigte sich leicht nach vorn, als wollte sie hoheitsvoll nickend die Würdigung der Ankömmlinge entgegennehmen.
    Sie betraten einen Kreuzgang. An den Wänden prunkten farbenfrohe Malereien. Das Dachgewölbe wurde von Säulen getragen, in deren Schlußsteine man gräßliche Geschöpfe hineingemeißelt hatte. Der Hagere öffnete eine zweiflüglige Tür und schob Catherine und Alan hindurch.
    Zwei lange Tafeln erwarteten sie, von Bänken gesäumt. Es war für einen Esser gedeckt: eine leere Holzschale, ein Becher. Auf der Bank lagen zwei Leinentücher.
    »Sagt mir eure Namen«, befahl der Hagere.
    Sie antworteten.
    »Setzt euch hin. Nebeneinander, dort, auf die Bank.«
    Gehorsam nahmen sie Platz.
    »Alan, du beginnst. Wir üben zuerst das Trinken.«
    »Ich soll –«
    »Stell dir vor, es ist Essenszeit, und man hat dir den Becher mit Wein gefüllt. Du bist durstig.«
    Der Bruder nahm den Becher und führte ihn zum Mund.
    »Gräßlich! Kennst du keinen Anstand, du Bauernschwein? Bevor du trinkst, reinigst du deinen Mund mit dem Tuch. Willst du, daß Fettaugen im Wein schwimmen, weil Bratensaft von deinen Lippen trieft? Du willst doch nicht, daß andere es verabscheuen, mit dir zu trinken, oder? Denke nicht, ungehobeltes Benehmen verschafft dir einen Becher für dich allein. Du teilst ihn mit anderen, und sie haben ein Recht auf Sauberkeit.«
    Alan wischte sich die Lippen.
    »Versuche es noch einmal. Halt! Nicht den Daumen eintauchen in den Wein.« Der Hagere machte zwei große Schritte zur Tafel und entrang Alan den Becher. »So hältst du ihn, mit zwei Fingern. Hier, mache es mir nach.«
    |135| Sie mochte das Gesicht des Bruders nicht ansehen. Es machte ihr angst. Wenig fehlte, daß er dem Hageren an die Kehle sprang. Catherine wendete sich ab.
    Der Saal besaß eine Ausbuchtung. In ihr führte eine steinerne Wendeltreppe hinauf zu einer wandlosen Kammer, die über dem Saal schwebte mit nichts als einem Pult und einem schmalen Geländer. Stand während der Mahlzeiten ein Aufseher dort, der das Beachten der vielen Verhaltensregeln überwachte und mit gellender Stimme den tadelte, der dagegen verstieß? Vielleicht war der Hagere jener Aufseher. Er hörte nicht auf, Alan zu drangsalieren.
    »Einen schönen Bart hast du da. Ich möchte nicht noch einmal sehen, wie du ihn in den Wein eintauchst.«
    »Genug!« Alan warf den Becher zu Boden. Zuerst polterte das Gefäß und sprang, dann rollte es unter den Tisch, als wollte es sich in Sicherheit bringen. »Ihr lehrt uns gutes Benehmen? Eure Keiferei ist genauso ein Verstoß gegen die feinen Manieren, die Ihr predigt.«
    Der Hagere musterte Alan abschätzig. »Ich zwinge dich zu nichts. Bleibe bei deinem bäurischen Instinkt, wenn du willst. Aber dann versuche nicht länger, mit Englands höchstem Kirchenfürsten zu sprechen.«
    Alans Blick suchte Catherines Augen. Sie schüttelte sachte den Kopf. Fast hatten sie es geschafft. Er durfte sich nicht reizen lassen!
    Alan murmelte: »Ihr könnt fortfahren, unter einer Bedingung: Behandelt mich wie einen Menschen.«
    »Oh, eine empfindliche Seele. Du wirst lernen, Alan, daß Gott nicht zimperlich mit seinen Kindern umspringt.«
    Ein Mann in schwarzer Kutte trat in den Saal und blieb stehen. Er rieb sich das Kinn. »Repton, Ihr seid das.«
    Der Rücken des Hageren straffte sich, Finger trommelten rechts und

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