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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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passieren.«
    »Courtenay nimmt Nevill in Schutz. Ich weiß das. Denkst du wirklich, ich fürchte mich vor ihm? Unsinn. Ich weiß bloß, daß es zwecklos ist, ihn um Hilfe zu bitten. Du kannst ebensogut Wolken abzählen.«
    »Alan.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Vielleicht wird Courtenay gegen Nevill nichts tun. Trotzdem muß ich zu ihm. Ich bin schwanger. Ohne Obdach und Nahrung kann ich meinen Sohn nicht gesund zur Welt bringen. Die Rache an Nevill muß einige Monate warten. Verstehst du mich?«
    Er sah zu Boden.
    »Kommst du mit oder nicht?«
    »In Ordnung.«
    Sie passierten längliche, schmale Felder. Bald setzte zur Linken die hohe Mauer des Stifts ein. Die Häuser auf der anderen Straßenseite mußten zum Stift gehören oder zumindest von Hörigen bewohnt sein, und doch waren sie ausgeschlossen |126| aus dem, was Alan wie das Paradies beschrieben hatte, das Paradies, das Engel bewachten.
    Unter den weit ausgreifenden Ästen der Eiche blieben sie stehen. Dunkel drohte das Tor, Catherine konnte sich der Vorstellung nicht erwehren, ein Bote Gottes stehe dahinter, bereit, die Anklopfenden zu strafen. Es war ein großes Tor. Der Engel mußte furchterregend sein.
    »Du bist unsicher?«
    Sie schüttelte die wirren Gedanken ab. »Nein.« Ihre Faust bewirkte nicht viel bei solcherlei Toren, das hatte sie nicht vergessen. Alan riß die Augen auf, als sie mit dem Fuß ausholte.
    Eine Pforte schwang auf. »Was wünscht Ihr?« Die quakende Stimme kam aus schwulstigen, riesigen Lippen.
    »Wir wollen Euren Herrn sprechen.«
    »So einfach geht das nicht. Wer seid Ihr?«
    Catherine zögerte kurz. Dann stellte sie sich vor Alan, damit der Pförtner dessen Erstaunen nicht sah. »Ich bin Catherine Rowe, eine Brillenmacherin, die ihre Dienste anbieten möchte.«
    Die Züge des Pförtners hellten sich auf.
    »Dürfen wir eintreten?«
    »Selbstverständlich«, schmatzte er. »Der ehrwürdige Vater, unser Abt, wird sicher bald Zeit für Euch finden.«
    »Nicht den Abt wünsche ich zu sprechen, sondern den Erzbischof.« Catherine trat durch die Pforte, gefolgt von Alan. »Hält sich William Courtenay noch in Newstead Abbey auf?«
    »Den Erzbischof? Ihr wollt den Erzbischof sprechen?« Der Pförtner zog die Augenbrauen hoch, und seine Stirn warf Hautwülste.
    Catherine trat an ihm vorbei.
    Auf dem grünen Hügel taumelten Schmetterlinge von Blüte zu Blüte. Apfelbäume neigten ihre Äste tief herab, als wollten sie die rotbackigen, prallen Früchte zur Schau stellen. In anderem Geäst hingen Birnen. Wespen kreisten im Taumelflug über herabgefallenem Obst, das im Gras verfaulte. Die Pflaumenbäume standen nackt, sie waren abgeerntet.
    |127| Ein knochiger Mann erhob sich neben dem Pförtnerhaus von der Bank. Seine Lederkleidung knarrte. Stirn und Kinn sprangen weit hervor; der Mund war eckig hineingekratzt. »Ich bedaure. Seine Exzellenz braucht weder eine Brille, noch möchte der Erzbischof zur Zeit Besucher empfangen. Ihr müßt anderswo Arbeit suchen.« Der Hagere trieb sie mit ausgebreiteten Armen zum Tor. Das spitze Kinn hackte nach ihnen und verbot jede Widerrede.
    »Wollt Ihr ihn nicht wenigstens fragen?«
    »Nein. Geht!«
     
    Alles, was ihm zu sagen einfiel, würde besserwisserisch klingen, und so behielt er seine Erklärungen für sich. Es war schlimm genug für Cath, daß sie abgewiesen worden waren. Er hatte es gewußt, er war vorbereitet gewesen auf die Enttäuschung. Sie mußte härter getroffen sein. Alan sah hinüber: Ihre Schultern hingen herab, und die Füße schleiften beim Gehen über den Boden. Der Blick der Schwester ging ins Leere.
    Noch leuchtete Abendrot durch die Baumwipfel auf die Straße. Bald aber würde die Mondsichel ihre kärgliche Lampe sein, und sie würden Schatten und Waldgewächse im Sherwood Forest nicht mehr voneinander unterscheiden können. Man vermied den Sherwood Forest in der Dunkelheit, wenn einem Leib und Leben etwas bedeuteten. Blieb zu hoffen, daß das Räubergesindel ihnen ansah, daß bei ihnen nichts zu holen war, und es vorzog, hinter den Büschen hocken zu bleiben, um auf bessere Beute zu warten.
    Warum hatte Catherine nicht auf ihn hören können? Wie sie an dieser verrückten Idee hing, der Erzbischof würde ihnen helfen!
    Er, Alan, trug die Schuld. Der Gedanke traf ihn wie ein Schmiedehammer auf die Stirn. Elias war getötet worden, weil er Nevill angeschwärzt hatte. Alan wollte sich unter einem Busch zusammenrollen und dort verhungern. Er verdiente es. Und wenn er doch

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