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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beleidigen?«
    »Eßt nicht hastig. Es wird wie Gier erscheinen. Nehmt nicht das größere Stück aus der Schüssel. Und: Wagt es nicht, darin herumzustochern und nach etwas zu suchen, das euch schmackhaft erscheint. So würdet ihr eure Mahlgefährten abstoßen. In der Menge des Weins, die ihr trinkt, richtet euch nach dem Erzbischof. Trinkt er viel, so mögt ihr dem Wein auch kräftig zusprechen. Trinkt er wenig, haltet ihr euch genauso zurück.«
    »Wollt Ihr damit sagen, daß an dieser langen Tafel«, Alan drehte sich, als würde er eine Landschaft beschauen, »sämtliche Esser zu Erzbischof Courtenay schauen, um zu beobachten, wieviel er trinkt und wem er Fleisch auf den Teller legen läßt?«
    »So ist es. Seine Exzellenz eröffnet das Mahl, und seine Exzellenz beendet es auch. Stell dir vor, du würdest nicht bemerken, daß Courtenay sich erhoben hat. Die Gäste würden dich anstarren und beobachten, wie du gefräßig nach einem saftigen Stück in der Schüssel gräbst, und man würde dich für anstandslos und tierisch halten, ganz abgesehen vom Ungehorsam, den du seiner Exzellenz gegenüber erweisen würdest.«
    »Sir Repton.« Catherine versuchte, ihn von unten herauf anzuschauen, wie sie es bei der Frau aus York gesehen hatte. Es war ein gewisser Blick, den die Yorkerin aufsetzte, wenn sie ihren Mann um etwas bat, ein Blick, der ihn mitunter erröten ließ und der nur selten seine Wirkung verfehlte. »Könnt Ihr uns raten, wie wir Erzbischof Courtenay wohlwollend |139| stimmen können? Würdet Ihr ihn bitten, sich unsere Sache anzuhören?«
    Die Verwirrung wich schnell aus Reptons Gesicht. Er nickte. »Ich will sehen, was ich tun kann.« Sein Blick wanderte an Catherine hinunter und wieder herauf in ihr Gesicht. Das Katzenmäulchen lächelte.
     
    Der Oktober brachte Kälte nach Braybrooke. Die Karpfenbecken dampften, und die Sonne verbarg sich hinter grauen Schleiern. Vom Rockingham Forest wehte Herbstlaub die Hügel herab. Jeden Laut umhüllte eine Haut aus Eis, es klang alles härter: Das Krächzen der Krähen, das Schnauben der Pferde, das Reißen des Grases unter den Schafmäulern.
    Vor dem Herrenturm in Braybrooke Castle froren drei halbverhungerte Gestalten. Sie bemühten sich, gestand Latimer sich ein, sie streckten die Brust heraus und standen breitbeinig. Dennoch war er zornig. »Wer hat euch gesagt, daß ich Söldner suche?«
    Sie sahen sich kurz an, dann antwortete einer: »Niemand, Herr Ritter.«
    Natürlich logen sie. Es mußte jemand aus dem Dorf gewesen sein. Ein Dörfler, der sich bewußt entschieden hatte, ihre Sache zu gefährden. »Habt ihr mit jemandem darüber gesprochen?«
    Scheue Blicke von einem zum anderen. »Worüber?«
    In Braybrooke wurden Söldner gesucht – wenn der Earl davon erfuhr oder, schlimmer noch, wenn Courtenay das Gerücht vor dem Earl aufzubauschen verstand! »Darüber, daß in Braybrooke Castle angeblich Söldner angeheuert werden.«
    »Nein, Herr.« Etwas leiser: »Wir können schweigen.«
    Die plumpe Einfalt der Söldner weckte Vertrauen. Sie waren keine Spitzel. Mit guter Führung würden es loyale Gefolgsmänner werden. Wer auch immer aus dem Dorf geplaudert hatte, er hatte seine Freunde gut ausgewählt.
    »Ihr tragt keine Waffen.«
    »Wir hoffen, Ihr könnt uns ausstatten. Dafür verlangen wir nichts als Speise und Trank. Wir können im Stall schlafen, wenn |140| Ihr wünscht. Mein Bruder hier ist ein guter Bogenschütze, er trifft einen Sperling auf siebzig Yard. Und wenn Ihr uns Schwerter geben könnt oder Speere, wir sind kräftig, wir –«
    Ein strenger Blick Latimers ließ den Sprecher verstummen.
    »Wir können schnell zu Kräften kommen«, berichtigte er sich.
    »Das werden wir sehen. Speise und Trank, es sei. Holt euch Decken bei meinem Verwalter. In ein paar Tagen, wenn ihr euch erholt habt, werde ich euch Waffen geben.«
    Sie eilten zur Kanzlei.
    »Halt! Dort hinüber.« Er wies zur Küche, und sie änderten ihre Richtung wie trockenes Laub bei einem Windwechsel.
    Ein kleiner Fetzen Moos segelte vor seine Füße. Er sah am Turm hinauf. Im ersten Stockwerk stand das Fenster offen. Anne lüftete.
    Anne hatte gelauscht.
    Er nahm einen tiefen Atemzug und blickte zur Kanzlei hinüber, zum Tor, zu den Fahnen. Wieviel wußte sie? Hatten die Jahre Anne nicht zu einer Kennerin seiner Seele gemacht? Sie mußte sehen, wie er sich verändert hatte. Sie sah, daß er etwas verbarg, daß er sich sorgte und zugleich eine Flamme in seinem Inneren loderte, die zu

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