Die Brillenmacherin
hochzuziehen.«
»Steig auf meinen Kopf!«
Ihre Zehe streifte seine Wange. Es brannte; der Nagel mußte ihm die Haut aufgeritzt haben. Dann drückte ein großes Gewicht auf seinen Kopf. Er fürchtete, der Hals würde jeden Augenblick brechen. Ein Ächzen entfuhr seinem Mund. Endlich ließ das Gewicht nach, verschwand. Ein Flüstern von oben: »Geschafft.«
»Dann gib mir deine Hand!« Er ergriff den gebotenen Halt.
»Ich werde springen. Du nutzt den Schwung und ziehst mich in die Höhe. Sitzt du sicher?«
»Es geht.«
»Du mußt mich nicht heben, nur ein wenig nachhelfen, sonst schaffe ich es nicht bis zur Mauerkrone. Eins, zwei, drei!« Alan sprang, und Catherines Hand führte ihn zum oberen Mauerrand. Er hielt sich nur mit der Rechten. Unter großer Kraftanstrengung brachte er die Linke hinzu. Nicht lange hängen, schalt er sich, du vergeudest deine Kraft, und du brauchst sie, um dich hochzuziehen. Er umklammerte die Mauerkrone und zerrte sich hinauf. Oben schöpfte er rasselnd Atem.
»Alles in Ordnung?«
»Siehst du den Boden?« Er spähte.
»Eine Wiese.«
|131| »Gut.« Er ließ sich an der Mauer hinab, bis er an ausgestreckten Armen hing. Dann stieß er sich los, um nicht bei der Landung gegen die Steine der Mauer zu stoßen. Gras empfing seine Füße.
»Hilf mir herunter«, bat Catherine.
»Spring!«
»Nein. Das Kind! Laß mich auf deine Schultern klettern.« Er stellte sich an die Mauer. Endlich fand auch Cath hinab. Alan erblickte Gänse, und die Gänse, die Köpfe ruckend, erblickten ihn. Erst schrie ein Vogel, dann war es ein Dutzend, und bald kreischten fünfzig, sechzig, achtzig. Sie knallten mit den Flügeln, pfiffen. Sie griffen an. Ganteriche bissen sich in Alans Kleidung fest und ließen sich nicht wieder abschütteln. Mit den Flügeln schlugen sie ihn, bis er nicht mehr wußte, wo oben und unten war. Er drehte sich im Kreis. Heiser rief er um Hilfe.
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Hähne krähten im Dorf. Zur
Laudes
, dem Morgengebet, läuteten die Glocken. Licht drang durch einen Spalt unter der Tür in die Zelle, in die man Alan und Catherine gesperrt hatte.
»Was werden sie mit uns machen, Alan?«
»Das hängt ganz von Courtenay ab. Oder vom Abt. Ich denke, man wird uns eine gewisse Anzahl Stockhiebe verpassen und uns dann laufenlassen.«
»Stockhiebe? Ich trage ein Kind in mir, Alan. Die Gänse waren schon schlimm. Wenn sie mich auch noch mit Stöcken schlagen, dann … Das dürfen sie nicht.« Was sie traf, würde auch Laurence treffen. Unweigerlich hielt Catherine die Hände vor den Bauch.
»Ich hoffe, daß sie dir glauben. Man sieht nicht, daß du schwanger bist.«
»Heiliger Ägidius, hilf mir!« flüsterte sie, »du Schutzherr der Mütter, bewahre mich und das Ungeborene, und laß nicht zu –« Sie brach ab. Jemand machte sich am Riegel zu schaffen.
Sonnenlicht strömte in den Raum. Die Helligkeit umfloß eine hochgewachsene, dünne Gestalt. »Das war also euer Ziel: Ihr wolltet Gänse stehlen.«
»Nein!« Alan sprang auf. »Alles, was wir wollten, ist, mit Erzbischof Courtenay zu reden. Aber man läßt uns nicht zu ihm.«
»Mutige Worte für einen, der nichts zu sagen hat.«
Nun stand auch Catherine auf. »Herr, Ihr dürft ihm nicht zürnen. Er hat alles verloren, und genauso geht es mir. Man hat meinen Mann getötet und das Haus angezündet. Wir suchen Schutz beim Erzbischof.«
Nun erkannte sie auch, wen sie vor sich hatten. Es war der |133| Hagere von der Pforte, der Mann mit dem Katzenmäulchen und dem knochigen, spitzen Kinn.
»Was meint ihr, wie lange seine Exzellenz beschäftigt wäre, wenn der Erzbischof sich um jeden kümmern wollte, dem Unrecht widerfahren ist. Dafür gibt es Gerichte der Hundreds und der Städte, und königliche Friedensrichter, die das Shire bereisen. Die Aufgabe eines Erzbischofs ist es allein, geistliche Sorge für die Herde der Gläubigen zu tragen.«
»Genau deshalb sind wir hier. Wir –« Catherine stockte. »Uns belastet ein Fluch. Nevill verfolgt uns, und wir wissen nicht, warum. Unserer Hände Arbeit scheitert, Gott hat sich von uns abgewandt. Kann nicht der Erzbischof den Fluch lösen?«
»Ein Fluch, so? Was werdet ihr als nächstes erzählen? Daß ihr Gold verschenkt?«
»Es ist die Wahrheit.« Alan sprach durch zusammengebissene Zähne, offenbar unterdrückte er nur mit Mühe seine Wut. »Wenn wir mit dem Erzbischof reden dürften, könnte er das auch feststellen. Ich habe vor einigen Tagen bereits mit ihm gesprochen, und er hat sich
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