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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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brennen verlangte, zu wachsen und sich zu nähren, eine Flamme, die auf andere Menschen überspringen wollte und die bereit war, ein großer Brand zu werden. Und wenn sie ihn nicht genug kannte, so mußte sie die Veränderungen der Burg sehen: Die bewachte Kanzlei, die häufigen Boten, die Besucher.
    Schmerzte es sie, daß er sie nicht einweihte? Hatte sie sich damit abgefunden, daß es keine Zuneigung gab zwischen ihnen, oder tat es ihr weh, von ihm kaum beachtet zu werden? Er hatte sich irgendwann entschieden, daß er sie nicht lieben konnte, und fortan interessierte sie ihn nicht mehr. Selbst die Fragen aus Höflichkeit gingen ihm schwer über die Lippen: Hat es dir geschmeckt? Hast du gut geschlafen? Er konnte sich nicht überwinden, so etwas zu sagen, weil es Worte aus Holz waren, totes Gerede.
    |141| Ihr Gesicht trat ihm vor Augen. Montagu hatte recht, Anne war eine schöne Frau. Alabasterhaut. So sagte es also ein Dichter. Aber gerade die feine Kieferlinie, gerade der kühle Blick stießen Thomas ab. Er hatte Anne mehrfach weinen gesehen. Nichts hatte ihn dazu angetrieben, sie zu trösten. Sie weinte mit Würde, da war keine Verzweiflung, nicht einmal im Untergang, nicht einmal im Hilfeschrei verströmte diese Frau die Wärme, nach der er sich sehnte, die Wärme, die Gegenwärme in ihm erzeugen könnte.
    Wie sich ein Mensch wohl fühlte, der mit solcher Erhabenheit auf die Welt blickte? Litt Anne darunter, daß sie die Dinge nicht greifen konnte, ihn, Thomas, nicht zu berühren wagte, und unfähig war, Nähe zuzulassen? Anfangs hatte er ihr noch Liebkosungen geschenkt, hatte sie gestreichelt und ihre Haut geküßt. Sie lächelte dann, ein zartes, entferntes Lächeln. Die Haut blieb kalt.
    Sie war eine kluge Frau, daran gab es keinen Zweifel. Die Weisheit war in sie eingesperrt wie in einen goldenen Käfig. Ab und an sagte sie bei Tisch Dinge, die jedermann in Erstaunen versetzten und über Tage die Gespräche im Gefolge bestimmten. Dann wieder schwieg sie wochenlang.
    Wer war sie? Wer war Anne von Ashley? Er wollte einen neuen Versuch machen, sie kennenzulernen. Mit fünfundvierzig Jahren – fünfundvierzig! – wollte er seine Frau kennenlernen. Es war Zeit dafür, das spürte er deutlich. Vielleicht hatte er sich geirrt damals, als er sich entschied, er könne sie nicht lieben.
    Er betrat den Turm. Mit festen Schritten nahm er die Treppenstufen. Er würde Anne einweihen. Er würde ihr alles erzählen, alles. Thomas lächelte. Ein Gewicht löste sich von seinen Schultern, als habe er Tag und Nacht das schwere Kettenhemd getragen, und nun fiel es von ihm ab. Nichts zu verschweigen! Eine Verbündete zu finden, eine Vertraute.
    Höflich klopfte er an die Tür. Von drinnen eine Stimme. Er verstand nicht, was sie sagte, entschloß sich aber, ohne erneutes Klopfen einzutreten.
    |142| Vor dem Kamin kauerte Gonora und blies Funken von einem glühenden Scheit auf das Holz. Sie blickte auf, erstaunt, als stünde Thomas nicht in
seiner
Burg im Zimmer
seiner
Frau, eher als wäre er in ein fremdes Frauengemach eingedrungen, um Ehebruch zu treiben. Er war lange nicht hiergewesen, das wurde ihm durch Gonoras Gesichtsausdruck bewußt.
    »Laß Anne und mich bitte für einen Augenblick allein.«
    Anne stand am Fenster. Sie drehte sich nicht nach ihm um. Als hätte sie ihn erwartet und plane, sich stumm anzuhören, was er zu sagen hatte, stand sie da und wartete und kehrte ihm den Rücken zu. Niemand wagte es, so mit ihm umzuspringen.
    »Gonora?« Er machte eine Geste zur Tür hin.
    Die Kammerfrau erhob sich und verließ mit raschelndem Gewand den Raum.
    Nun stand er hier. Ein Dummkopf war er! Wie ein kleiner Bube wollte er dieser Frau einen Fehler gestehen. Er war Herr über Ländereien in Northamptonshire, Rutland, Somerset, Nottinghamshire und Leicestershire, er war Friedensrichter gewesen. Mußte er sich entschuldigen? »Anne«, sagte er und wußte nicht weiter.
    »Ich habe nicht gelauscht. Das Fenster stand offen, damit der Kamin besser zieht.«
    Er trat näher, wollte sie berühren. Aber er konnte es nicht. Es wäre ein Frevel gewesen. »Es gibt etwas, das ich dir sagen muß.«
    »Ich höre zu.« Ihre Stimme wankte.
    Sie weinte. Sicher weinte sie. Sie hatte seine Schritte gehört auf der Treppe und hatte es gewußt, daß er zu ihr kommen würde. Und deshalb weinte sie.
    Er konnte nicht bleiben. Er konnte nicht sprechen. Es schüttelte ihn. Wie sie dastand und weinte, nicht einmal die Schultern bebten! Kein Schluchzen.

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