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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geschmückter Hecht starrte auf das Tablett mit den Pasteten, das spitze Maul um einen Spalt geöffnet, als |146| würde er jeden Augenblick mit einem Schwanzschlag hervorschießen und sich die Beute einverleiben. Man reichte das Salzfaß über ihn hinüber – er regte sich nicht. Man rührte an seine Rückenflosse – er blieb still liegen. Man schnitt ihm Stücke aus dem Rücken – er lauerte.
    Was die Herren verschmähten, woran sie sich satt gegessen hatten, das wurde weitergereicht: Knochige Reste, zusammengerutschte Backäpfel, vertrocknete Feigen. Und anstatt es als Ungerechtigkeit zu empfinden, bedankten sich die einfachen Esser am unteren Tafelende. Sie aßen sich satt am hellen Brot, schwelgten darin, die, deren Gaumen schweres Roggenbrot gewohnt waren, das man mit Bohnen gestreckt hatte.
    Catherine, die neben Alan nahe dem Tafelende saß, pochte das Herz in der Kehle. Durfte man das Brot in die Reste der Bratensoße tunken? Wohin legte man den trockenen Stiel einer Dattel? War es gestattet, um ein Stück von dem Lachs zu bitten, der vier Plätze weiter die Tafel hinauf liegengeblieben war? Obwohl sie sich bemühte, ihre Mahlgefährten nicht zu beleidigen, machte sie Fehler um Fehler. Nachdem sie getrunken hatte, schwammen Brotkrümel im Bier. Sie mit den Fingern herauszufischen? Undenkbar. Den Becher so weiterzureichen? Eine Beleidigung. Also trank sie ihn leer, und als ihr Platznachbar sie erstaunt ansah, murmelte sie, errötend, eine Entschuldigung. Sie achtete darauf, was der Erzbischof tat, bemerkte, wie er Abt Everard aus seinem eigenen geschmückten Kelch trinken hieß, und so übersah sie die Hand ihres Gegenübers, das nach der gleichen Brezel griff wie sie. Die Finger trafen zusammen und zuckten zurück.
    Sir Repton hatte recht gehabt. Die Mahlgefährten kauten und schmatzten, schlürften und rollten genießerisch die Augen, und doch folgten sie streng den Regeln der Höflichkeit und der Rangfolge, denen das Festessen unterworfen war. Catherine fühlte sich wie ein Kind unter Erwachsenen, die ein Spiel spielten, das sie beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte.
    Sah der Erzbischof sie an? Täuschte sie sich?
    |147| Er lächelte, dann wies er zum Hirschbraten auf seinem Tisch und deutete auf sie. Ein Diener schnitt ein saftiges Stück heraus, spießte es auf das Messer und trug es vor den Blicken aller die Tafel hinunter, um es auf ihrem Brotteller von der Klinge zu schieben. Der Duft von Ingwer und Pfeffer stieg ihr in die Nase. Speichel sammelte sich in ihrem Mund. »Danke«, sagte sie.
    Es war still. Sie fühlte sich schuldig, hätte das Bratenstück am liebsten an ihren Nachbarn verschenkt, um die Blicke los zu sein. Nicht einmal die Chorherren aßen weiter, alle sahen verblüfft auf ihren Teller.
    »Ich freue mich, daß Ihr meiner Einladung gefolgt seid.« Der Erzbischof lächelte. »Wo hat mein Bote Euch gefunden, in Nottingham?«
    Es mußte eine Falle sein. Courtenay wollte sie zur Lüge verleiten, um sie dann bloßzustellen. Wußte nicht jeder hier, daß man sie eingesperrt hatte? »Ihr müßt mich verwechseln, Herr Erzbischof.«
    Ein Schatten zog über Courtenays Jungengesicht. »Wie meint Ihr das?«
    »Es ist kein Bote nach Nottingham gekommen. Wir sind hier, weil wir Euch um Hilfe bitten wollen. Wir waren –« Sie stockte. »Wir waren über die Mauer geklettert.«
    Entsetztes Gemurmel. Courtenay wendete den Blick ab. Er begann ein Gespräch mit dem Abt, als hätte er Catherine nie gefragt. Von Zitronen und Granatäpfeln redeten sie, davon, daß es bedauerlich sei, daß sie nicht rechtzeitig zum Festmahl eingetroffen seien.
    Die anderen folgten dem Beispiel des Erzbischofs. Sie behandelten sie wie Luft. Catherine war allein mit dem Bratenstück; wie ein Fluch lag es vor ihr und ließ goldenes Fett in das Brot sickern. Allein der Hechtskopf starrte sie an.
    »Iß es«, raunte Alan ihr zu. »Wenn du es nicht ißt, beleidigst du den Erzbischof.«
    Sie war sich sicher, daß niemand bemerken würde, ob sie es aß oder nicht. Man ignorierte sie. Und doch schnitt sie gehorsam Happen heraus, steckte sie sich in den Mund, kaute. |148| Der Bratensaft war Gift. An der herben Fleischmasse sollte sie ersticken.
    War das Blut? Catherine hob das Fleisch mit der Messerspitze an. Im Kern schimmerte es rot.
    Sie sah sich eine Treppe hinunterstolpern, barfuß. Sie hörte ein Stöhnen. Werkzeug auf dem Boden, Zangen, Feilen, Zirkel. Elias, aus dessen Brust ein Dolchgriff ragte. Er sprach, und Blut

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