Die Brillenmacherin
die Probe stellen, ob ich ehrlich sein würde.«
»Einfältiges Weib! Natürlich wußte ich, daß ihr über die
Mauer geklettert seid. Ich war gewillt, euer Ansehen vor den Augustinern wiederherzustellen, verstehst du das nicht?«
Er hatte gelogen, um den anderen deutlich zu machen, daß er Catherines und Alans Eindringen in Newstead Abbey nicht bestrafen würde? Aber weshalb bedurfte es einer Lüge dafür? »Wußten denn die Augustiner nicht, daß wir ohne Eure Einladung hier sind?«
»Natürlich wußten sie es. Ich habe ihnen gezeigt, daß ich eure Anwesenheit dennoch wünsche.«
»Was hätte ich auf Eure Frage antworten sollen, Herr Erzbischof?«
»Da fragst du noch? Also gut, üben wir es. Wir sind noch beim Festmahl. Ich sage: Schön, daß Ihr meiner Einladung gefolgt seid. Wo hat mein Bote Euch gefunden?«
Catherine rieb die Finger aneinander. Sie zermarterte sich |151| den Kopf, aber es wollte ihr keine passende Erwiderung einfallen. Daß sie über die Mauer geklettert waren, durfte sie nicht erwähnen. Ein Bote hatte sie aber auch nicht eingeladen. Wie sollte sie ehrlich sein, ohne die Wahrheit zu erwähnen? »Der … der Bote hat uns nicht gefunden«, sagte sie. »Wir sind von selbst gekommen.«
»Unfug!« Courtenay hieb die Handfläche auf den Truhenrand. »Du nickst höflich und erklärst, daß man euch in Nottingham in eurem Heim besucht hat und daß ihr der Einladung gern gefolgt seid.«
»Ich soll lügen?«
»Was ist eine Lüge?«
»Wenn man die Unwahrheit sagt.«
»Hat nicht David gelogen, als er sich vor König Achisch wahnsinnig stellte? Hat er nicht die Unwahrheit gesagt, als er dem Philisterkönig erklärte, er sei in Juda eingefallen, und dabei hatte er die Amalekiter angegriffen? Gott hat ihn dafür nicht bestraft.«
»Davon verstehe ich nichts.«
»Es gibt noch viel, das du lernen mußt, Catherine. Aber du bemühst dich, der Kirche gehorsam zu sein, und das macht dir Ehre. Du bist Brillenmacherin, hat man mir gesagt?«
»Mir ist alles Werkzeug verbrannt, aber wenn Ihr mir helft, würde ich gern von vorn beginnen und Euch Brillen und Eingläser und Lesesteine herstellen. Mein verstorbener Mann, Elias Rowe, hat bereits für Euch gearbeitet.«
»Elias.« Courtenay nickte.
»Das Werkzeug ist teuer, aber ich würde es abarbeiten. Sicher brauchen die Chorherren Sehlinsen, und Eure Bischöfe und Eure Berater und Schreiber. Wenn Ihr mir nur einen kleinen Vorschuß gewähren könnt, damit ich Schleifschalen in Auftrag geben kann – ich will Euch nicht enttäuschen.«
»Du sollst alles bekommen, was du brauchst.«
»Man müßte Vorlagen für die Schleifschalen aus Brabant oder Venedig …«
»Wie ich sagte. Du sollst bekommen, was du brauchst.«
|152| Es war Catherine, als hielte die Zeit an. Die Worte des Erzbischofs schwebten im Raum, Courtenays Lächeln verschwamm vor ihren Augen. Er war bereit, sie aufzurichten! Wenn sie Arbeit hatte und Nahrung und einen Schlafplatz, dann würde Laurence als gesundes, glückliches Kind aufwachsen. Ihr Sohn würde unter den Apfelbäumen bei der Stiftspforte schlafen, Vogelgezwitscher würde ihn erfreuen, und bunte Falter würden ihn umflattern. Wenn Elias sehen könnte, wie alles eine gute Wendung nahm!
Es klopfte.
»Kommt herein«, befahl Courtenay.
Repton war es. Er blickte verunsichert auf Catherine. »Verzeiht.«
»Nein, wir sind fertig.« Courtenay reichte ihr den Ring, und sie küßte ihn.
Kaum hatte sich die Tür hinter der Brillenmacherin geschlossen, verdüsterte sich das Gesicht des Erzbischofs. »Was tust du hier? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst bei den Walkmühlen auf Alan warten?«
»Ich habe das Gespräch von zwei Chorherren belauscht und dachte, ich berichte besser gleich.«
»Meinetwegen. Es hat sein Gutes. Wir dürfen es Alan nicht zu leicht machen, er kann ein wenig verunsichert werden. Was haben sie gesagt?«
»Beim Festmahl war kein unerwarteter Besuch anwesend, und nun fragten sie sich, ob diese zwei Herumtreiber die Gäste sind, die Ihr angekündigt habt. Sie sagten etwas von Jesus und von einem Fest, zu dem er die Bettler eingeladen haben soll, und während der eine Euch bewunderte, war der andere recht verärgert. Er brauche keine Lektionen, und er hoffe, Ihr würdet bald abreisen.«
»Wegen dieses läppischen Vorfalls verläßt du den Platz, zu dem ich dich geschickt habe?«
»Nun, ich … Ich verstehe selbst nicht, was hier vorgeht.« Repton fuhr sich durch den Haarschopf. »Ich meine, erst |153|
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