Die Brillenmacherin
Wiedehopf, sonst das Zeichen drohenden Unheils, ängstigte sie nicht, nein, er bestärkte sie, denn er verkündete dem Kastellan den Untergang. Deine Strafe naht, Nevill, dachte sie. Am Tage noch hast du mich gequält. In der Nacht sollst du für Elias’ Tod büßen.
Wieder eine Zugbrücke.
»Guten Abend«, grüßte Catherine die Posten am zweiten Tor.
»Guten Abend«, antworteten die Wächter. Es war ein Zögern in der Stimme, eine Frage, aber als Catherine forschen Schrittes an ihnen vorübertrat, hinderten sie sie nicht.
Das Ziel war leichter zu erreichen, als sie gedacht hatte. Ihre Zuversicht stieg: Die Geister bahnten ihr den Weg! Sie |229| ließen den Mörder nicht ungestraft davonkommen. Nur noch der Bergfried im Inneren der Hauptburg schützte ihn. Irgendwo in seinem Bauch versteckte sich Nevill, irgendwo saß er und trank Wein aus einem silbernem Kelch.
Die Sterne blinkten am Himmel, als wollten sie Catherine ermutigen. Sie fürchtete sich nicht vor dem Koloß aus türgroßen Steinquadern. Wo war der Eingang? Wo ging es hinein? Für eine Schlange gab es immer ein Schlupfloch. Sie würde beißen in dieser Nacht. Es war Zeit, daß sie zubiß.
Keine Tür war zu sehen. Selbst mit Schießscharten hatten die Erbauer des Bergfrieds gespart. Nevill verbarg sich gut darin. Zwischen vier Türmen klemmte der Bergfried, ein dicker, eckiger Turm war er, der von vier langhalsigen Geschwistern gestützt wurde. An einer Seite klebte ein zusätzliches, zweistöckiges Gemäuer, und hier führte eine Außentreppe in die Höhe.
Catherine stieg sie hinauf. Ein Eisenring hing oben von der Tür herab, er lockte und drohte zugleich, kein Fremder durfte es wagen, ihn zu berühren. Zögerlich hob sie ihn an. Er wog schwer. Sosehr sie auch daran zog, nichts rührte sich. Offenbar war die Tür von innen verriegelt.
Sie ließ den Ring hinunterfallen, gegen das Holz: ein dumpfer Schlag. Bald kam das Scheppern von Kettenringen näher. Die Tür erzitterte unter einem Stoß, Metall schabte an Metall. Sie öffnete sich.
»Wer seid Ihr, was wünscht Ihr?« Catherine irritierte der intelligente Blick des Burschen, auch das Schwert verunsicherte sie, das an seinem Gurt hing, nicht klobig, wie es die Klingen der Torwächter waren, sondern fein gearbeitet: Die Parierstange rollte sich auf beiden Seiten wie junges Blattwerk, als sei das Eisen nicht geschmiedet worden, sondern eigenständig gewachsen. Der Bursche war offensichtlich bereit, den Eingang des Bergfrieds zu verteidigen. Er musterte streng ihr Gesicht.
»Ich suche Sir William Nevill.«
Seine Brauen sanken um eine Winzigkeit herab, und zwischen ihnen vertiefte sich eine kleine Hautfalte. Aus dem |230| Nachbarraum drangen Stimmen: »Kein Zweifel, die besten Schwerter kommen aus Bordeaux. Sie sind leicht und sehr hart.«
»Auch die besten Lanzenspitzen kommen aus Bordeaux!«
»Also, wenn es um Kettenhemden und Panzer geht, würde ich in Mailand einkaufen. Schwerter und Lanzenspitzen nicht, die machen die Mailänder nicht halb so gut, da kommt nur Bordeaux in Frage, aber Panzer und Kettenhemden findet man keine besseren als die mailändischen.«
»Was ihr mit eurem Bordeaux habt! Die Deutschen stellen den besten Stahl her, sage ich. Ein Schwert aus Köln, das ist nicht zu übertreffen.«
»Köln oder Bordeaux, fest steht, daß man die englischen
Schwerter vergessen kann. London liefert noch halbwegs passable Qualität, aber wenn ich die Wahl habe …«
»Damit sagst du freilich nichts über die englischen Schwertführer. Die sind unübertrefflich.«
Gelächter.
»Wo läßt Nevill seine Helme schmieden? Paris? Oder Brüssel? Er hat ein gutes Händchen für so etwas, da macht ihm keiner etwas vor.«
Der junge Bursche befeuchtete sich die Lippen. Daß er nichts sagte, daß er die Männer dort hinten reden ließ und Catherine musterte und schwieg, das verhieß nichts Gutes. Er mißtraute ihr. »Nevill wollt Ihr sprechen, ja?« Es klang wie eine Warnung: Sie solle sich gut überlegen, ob sie das wirklich aufrechterhalten wolle. Der Blick des Burschen tastete ihren Körper ab, von den Füßen bis zur Kapuzenspitze.
Catherine schluckte. »Laßt mich ein.«
»Nein«, sagte er.
Es war simpel, ein Wort, das man jeden Tag hörte. Catherine spürte, daß sie nicht die Achseln zucken und sich umdrehen und fortgehen konnte. Entweder überzeugte sie ihn und wurde eingelassen, oder sie steckte in Schwierigkeiten. »Sir William Nevill weist einen Boten ab?«
»Wenn Ihr ein Bote
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