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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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sofortaus Vermont abreisen müssen, verstehen wir gar nichts mehr.
    Ich begleiche unsere Rechnung mit Stanley. Während ich mit zitternder Hand den Scheck unterschreibe, erzähle ich ihm, dass unser Partner gestorben ist und wir jetzt nicht mehr in der Lage sind, das Haus zu kaufen. Stanley hebt die Achseln. «Ich wusste, dass es nichts werden würde», sagt er. «Aber das heißt nicht, dass es mir keine Freude gemacht hat, davon zu reden.»
    Tom gibt ihm einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer. «Bitte geben Sie das Honey», sagt er. «Und sagen Sie ihr, es tut mir Leid.»
    Wir packen unsere Sachen. Wir steigen ins Auto. Wir fahren.

ANGESCHMIERT
    F ür mich war es Mord. Es spielte keine Rolle, dass niemand ihn angerührt hatte, dass niemand ihn erschossen oder ihm ein Messer in die Brust gestoßen hatte, dass niemand ihn mit einem Auto überfahren hatte. Auch wenn Worte die einzigen Waffen seiner Mörder waren: Die Gewalt, der sie ihn aussetzten, war nicht weniger physisch als ein Hammerschlag an den Kopf. Harry war kein junger Mann. Er hatte in den vergangenen drei Jahren zwei Herzinfarkte erlitten, er hatte zu hohen Blutdruck, seine Arterien konnten jederzeit nachgeben. Wie viel Schmerz konnte ein Körper in diesem Zustand aushalten? Nicht viel, will ich meinen. Wahrlich nicht viel.
    Es gab nur einen Zeugen dieser Untat, aber obwohl Rufus jedes Wort hörte, das da gesprochen wurde, begriff er doch so gut wie nichts davon. Das kam daher, dass Harry ihm nichts von dem Plan erzählt hatte, den er mit Gordon Dryer ausheckte, und als Dryer an diesem Nachmittag mit Myron Trumbell in den Laden kam, hielt Rufus die beiden für Geschäftskollegen. Er führte sie nach oben in Harrys Büro, und da Harry außerordentlich angespannt und aufgeregt und gar nicht mehr er selbst zu sein schien, als er seinen Besuchern die Hände schüttelte wie eine Aufziehpuppe, wurde Rufus unruhig. Statt auf seinen Posten an der Kasse zurückzukehren, blieb er oben und hielt ein Ohr an die Tür, um das Gespräch zu belauschen.
    Erst spielten sie ein paar Minuten lang mit Harry, machten ihn mürbe, bevor sie die Dolche zückten und ihm denTodesstoß versetzten. Freundliche Begrüßung allerseits, beiläufige Bemerkungen über das Wetter, ölige Glückwünsche zu Harrys geschmackvollem Büromobiliar, anerkennende Kommentare zu der akkurat arrangierten Sammlung von Erstausgaben. Aber dieses freundliche Geplänkel half Harry nicht aus seiner Verwirrung. Metropolis hatte die Arbeit an dem Manuskript noch nicht abgeschlossen, und warum Gordon ohne die fertige, für Trumbell bestimmte Fälschung und gerade jetzt bei ihm aufgetaucht war, blieb Harry ein Rätsel.
    «Ich freue mich immer, Sie zu sehen», sagte er, «und es tut mir Leid, dass ich Mr.   Trumbell enttäuschen muss. Das Manuskript befindet sich in einem Tresor der Citibank in der 52.   Straße in Manhattan. Wenn Sie vorher angerufen hätten, könnten Sie es jetzt mitnehmen. Aber wenn ich nicht irre, wollten wir uns doch erst am nächsten Montagnachmittag treffen.»
    «In einem Tresor?», sagte Gordon. «Da haben Sie also meine Entdeckung versteckt. Das wusste ich nicht.»
    «Habe ich das nicht erwähnt?», improvisierte Harry weiter. Er begriff immer noch nicht, was Gordon und Trumbell vier Tage vor dem geplanten Übergabetermin plötzlich von ihm wollten.
    «Ich hab’s mir anders überlegt», sagte Trumbell.
    «Ja», mischte Gordon sich ein, bevor Harry etwas darauf erwidern konnte. «Verstehen Sie, Mr.   Brightman, eine solche Transaktion kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dafür geht es um zu viel Geld.»
    «Das ist mir bewusst», sagte Harry. «Deshalb haben wir ja die erste Seite von Fachleuten begutachten lassen. Nicht nur von einem, sondern von zwei.»
    «Nicht zwei», sagte Trumbell. «Drei.»
    «Drei?»
    «Drei», sagte Gordon. «Man kann nicht vorsichtig genug sein, stimmt’s? Myron hat es einem Kurator der Morgan Library gezeigt. Einer der Topleute auf diesem Gebiet. Und der hat heute Morgen sein Urteil abgegeben. Er sagt, es ist eine Fälschung.»
    «Nun ja», stotterte Harry, «zwei von drei ist doch keine schlechte Quote. Warum diesem Mann vertrauen und den beiden anderen nicht?»
    «Er war sehr überzeugend», sagte Trumbell. «Wenn ich dieses Manuskript kaufen soll, darf es keinerlei Zweifel geben. Absolut keinen Zweifel.»
    «Verstehe», sagte Harry; noch immer versuchte er der Falle zu entkommen, die sie ihm gestellt hatten, verlor aber schon den

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