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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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mich gern hat.»
    «Ich hab dich doch auch noch gern.»
    «Du bist anders.»
    «Inwiefern?»
    «Ich weiß nicht. Du nimmst nicht alles so ernst wie Onkel Tom. Du bist nicht so streng.»
    «Das ist nur so, weil ich älter bin.»
    «Sag es ihm bitte nicht. Schwör mir, dass du es ihm nicht sagst.»
    «Na schön, Lucy. Ich schwör’s.»
    Jetzt lächelt sie, und zum ersten Mal, seit sie am Sonntagmorgen aufgetaucht ist, sehe ich ihre Mutter als junges Mädchen vor mir. Aurora. Die abwesende Aurora, verschollen im mythischen Land Carolina Carolina, eine Schattenfrau außer Reichweite der Lebenden. Wenn sie jetzt überhaupt irgendwo ist, dann im Gesicht ihrer Tochter, in der Treue dieses Mädchens, in Lucys ungebrochenem Versprechen, uns nicht zu sagen, wo sie sich aufhält.
     
    Endlich ist Tom aufgestanden. Seine Verfassung ist für mich schwer zu deuten, sie schwankt zwischen düsterer Zufriedenheit und nervöser, unbehaglicher Befangenheit. Beim Mittagessen erwähnt er die Ereignisse der vergangenen Nacht mit keinem Wort, und so neugierig ich bin, von ihm etwas Genaueres zu erfahren, sehe ich davon ab, irgendwelche Fragen zu stellen. Hat er sich ernsthaft in die überschwängliche Miss C. verliebt, frage ich mich, oder ist sie für ihn nur ein flüchtiges Abenteuer? Geht es um Sex und nichts als Sex, oder sind da auch Gefühle im Spiel? Nach dem Essen zieht Lucy mit Stanley los, um mit ihm Traktor zu fahren und ihm beim Rasenmähen zu helfen. Tom gehtzum Rauchen auf die Veranda, und ich setze mich auf den Stuhl neben ihm.
    «Wie hast du geschlafen, Nathan?», fragt er.
    «Ganz gut», antworte ich. «Wenn man bedenkt, wie dünn die Wände sind, hätte es sehr viel schlimmer sein können.»
    «Das habe ich befürchtet.»
    «Ist doch nicht deine Schuld. Du hast das Haus nicht gebaut.»
    «Ich hab ihr immer wieder gesagt, sie soll leiser sein, aber du weißt ja, wie das ist. Wenn jemand erst mal in Fahrt ist, kann man nichts mehr dagegen machen.»
    «Halb so wild. Ehrlich gesagt war ich sogar froh. Ich hab mich für dich gefreut.»
    «Ich mich auch. Wenigstens mal für eine Nacht war ich glücklich.»
    «Es kommen noch mehr Nächte, Alter. Das war erst der Anfang.»
    «Meinst du? Sie ist heute Morgen sehr früh gegangen, und als sie hier war, haben wir auch nicht grade viel miteinander gesprochen. Ich habe keine Ahnung, was sie wirklich will.»
    «Wichtiger wäre zu wissen: Was willst du?»
    «Dafür ist es noch zu früh. Das ist alles so schnell passiert, dass ich noch gar nicht darüber nachdenken konnte.»
    «Du hast mich zwar nicht gefragt, aber meiner Meinung nach passt ihr zwei sehr gut zusammen.»
    «Ja. Zwei Moppel beim nächtlichen Doppel. Ich staune selbst, dass das Bett nicht zusammengebrochen ist.»
    «Honey ist nicht dick. Sie ist das, was man ‹stattlich› nennt.»
    «Sie ist nicht mein Typ, Nathan. Zu grob. Zu selbstsicher. Zu allem eine Meinung. Solche Frauen haben mich noch nie angezogen.»
    «Gerade deswegen wäre sie gut für dich. Sie würde dich auf Trab halten.»
    Tom schüttelt seufzend den Kopf. «Das kann niemals gut gehen. Nach spätestens einem Monat wäre ich fix und fertig.»
    «Du willst also schon nach einer Nacht aufgeben.»
    «Daran ist doch nichts Schlimmes. Eine gute Nacht, und das war’s.»
    «Und was, wenn sie wieder zu dir ins Bett kriecht? Schmeißt du sie dann raus?»
    Tom hält ein Streichholz an seine zweite Zigarette und denkt gründlich nach. «Ich weiß nicht», sagt er schließlich. «Warten wir’s ab.»
     
    Leider bekommt weder Tom noch sonst jemand die Chance, irgendetwas abzuwarten.
    Denn eine letzte Überraschung erwartet uns, und diese erweist sich als so gewaltig, so schmerzlich, so ungeheuer in ihren Konsequenzen, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als noch an diesem Nachmittag das Weite zu suchen. Unsere Ferien im Chowder Inn nehmen ein jähes und verwirrendes Ende.
    Adieu, Hügel. Adieu, Rasen. Adieu, Honey.
    Der Traum vom Hotel Existenz ist ausgeträumt.
    Als Tom «Warten wir’s ab» sagt, ist es ungefähr ein Uhr. Nach Lucys Traktorfahrt mit Stanley gehe ich mit ihr zum Schwimmen an den Teich. Vierzig Minuten später gehen wir zum Haus zurück und erfahren von Tom das Neueste. Harry ist tot. Soeben hat Rufus aus Brooklyn angerufen, hat ins Telefon geschluchzt und kaum ein Wort herausbekommen, nur, dass Harry gestorben ist, dass Harry nicht mehr lebt. Mehr, sagt Tom, hat Rufus nicht sagen können. Wir verstehen gar nichts mehr. Abgesehen davon, dass wir

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