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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Sekunden später das Gleiche mit der Tür des Buster-Keaton-Zimmers.
    Die Wand zwischen mir und Tom ist dünn – eine kümmerliche Konstruktion aus Rigipsplatten   –, sodass ich jedes Geräusch da drüben hören kann. Ich höre, wie er sich die Schuhe auszieht und den Gürtel aufschnallt, ich höre, wie er sich am Waschbecken die Zähne putzt, ich höre ihn seufzen, ich höre ihn summen, ich höre ihn unter die Decke seines quietschenden Betts kriechen. Ich will schon mein Buch zuklappen und das Licht löschen, aber kaum strecke ich die Hand nach der Lampe aus, vernehme ich ein leises Klopfen an Toms Tür. Honeys Stimme sagt: «Schläfst du schon?» Tom sagt nein, und als Honey fragt, ob sie reinkommen darf, sagt unser Junge ja, und durch dieses Ja scheint der verborgene Sinn und Zweck unseres Wechsels vom Highway auf die Route 30 seiner Erfüllung entgegenzugehen.
    Die Geräusche sind so deutlich, dass ich den nun folgenden Vorgängen hinter der Wand mühelos in allen Einzelheiten folgen kann.
    «Komm nicht auf dumme Gedanken», sagt Honey. «Es ist nicht so, dass ich so was täglich mache.»
    «Ich weiß», erwidert Tom.
    «Es ist nur schon so lange her.»
    «Für mich auch. Sehr lange.»
    Ich höre sie zu ihm ins Bett schlüpfen, und auch von dem, was dann geschieht, entgeht mir nichts. Sex ist eine so absonderliche, schlabberige Angelegenheit – wozu sich die Mühe machen, jedes Schlürfen und Stöhnen mit einem Kommentar zu versehen? Auch Tom und Honey haben ein Recht auf Privatleben, und aus diesem Grund endet hier mein Bericht über die Ereignisse der Nacht. Enttäuschte Leser mögen die Augen schließen und ihre Phantasie gebrauchen.
     
    Am nächsten Morgen ist Honey schon längst weg, bevor die anderen im Haus sich aus ihren Betten wälzen. Wieder ein herrlicher Tag, vielleicht der schönste des ganzen Frühlings, aber es soll auch ein Tag der Überraschungen werden, und am Ende werden diese Erschütterungen die Makellosigkeit der Landschaft und des Wetters vollständig in den Hintergrund drängen. Was mir von diesem Tag in Erinnerung bleibt, ist allenfalls ein Gewirr von einzelnen Puzzleteilen, eine Unmenge isolierter Eindrücke. Hier ein Stück blauer Himmel, da eine Birke, deren weiße Rinde das Licht der Sonne reflektiert. Wolken, die aussehen wie Gesichter, wie Landkarten, wie zehnbeinige Traumtiere. Das jähe Aufblitzen einer Strumpfbandnatter, die sich durchs Gras schlängelt. Das viertönige Klagelied einer unsichtbaren Spottdrossel. Die tausend Blätter, dievom Wind bewegt wie verwundete Motten im Gezweig einer Espe flattern. Eine nach der anderen tauchen diese Einzelheiten auf, nur das Ganze bleibt im Dunkeln, die Teile fügen sich nicht aneinander, und ich kann nur die Reste eines Tages zusammensuchen, der als Ganzes nicht existiert.
    Es beginnt um neun Uhr mit dem Eintreffen von Al Junior und Al Senior. Tom ist noch oben in seinem Buster-Keaton-Zimmer, im Tiefschlaf nach der mit Honey durchwachten Nacht. Lucy und ich sind seit acht Uhr auf, und wir verlassen gerade für einen Spaziergang das Haus, als der aus zwei Autos bestehende Konvoi der Wilsons vorfährt: ein rotes Mustang-Cabrio und mein limonengrüner Cutlass. Ich lasse Lucys Hand los, um diesen beiden wackeren Herren die Hand zu schütteln. Sie versichern mir, mein Auto sei wieder so gut wie neu, Al Senior überreicht mir die Rechnung für ihre Dienste, und ich schreibe ihnen auf der Stelle einen Scheck aus. Und gerade als ich denke, die Transaktion sei abgeschlossen, lässt Al Junior die erste Bombe des Tages hochgehen.
    «Das Verrückte dabei ist, Mr.   Glass», sagt er und tätschelt das Dach meines Autos, «dass der Idiot, der Ihnen das Zeug in den Tank geschüttet hat, Ihnen einen Gefallen getan hat.»
    «Wie meinen Sie das?», frage ich, da ich diese eigenartige Bemerkung nicht zu deuten vermag.
    «Nachdem wir gestern früh telefoniert hatten, nahm ich an, in zwei Stunden mit der Arbeit fertig zu sein. Deswegen habe ich gesagt, wir könnten Ihnen den Wagen schon gestern Abend liefern. Wissen Sie noch?»
    «Ja, sicher. Aber Sie haben auch gesagt, es könnte bis heute dauern.»
    «Ja, das hab ich gesagt, aber der Grund, warum ich dasgesagt habe, ist nicht der Grund, warum wir es Ihnen erst jetzt bringen konnten.»
    «Nicht? Was hat sich denn in der Zwischenzeit ergeben?»
    «Ich habe mit Ihrem Olds eine Probefahrt gemacht. Nur um zu sehen, ob alles wieder in Ordnung ist. War es aber nicht.»
    «Aha?»
    «Ich habe auf

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