Die Brooklyn-Revue
rede von dir. Was dein Herz macht.»
«Mein Herz? Das schlägt. Zweiundsiebzigmal pro Minute.»
«Das heißt also, du bist immer noch allein? Wärst du verliebt, würde es schneller schlagen.»
«Verliebt? Wovon redest du?»
«Du hast im vergangenen Monat keine Neue kennen gelernt?»
«Nein. Natürlich nicht. Ich hatte viel zu viel zu tun.»
«Erinnerst du dich an Vermont?»
«Wie könnte ich das vergessen?»
«Und deine letzte Nacht dort? Erinnerst du dich auch an die?»
«Ja. Ich erinnere mich an diese Nacht.»
«Und?»
«Und was?»
«Was siehst du, wenn du mich anschaust, Tom?»
«Ich weiß nicht, Honey. Ich sehe dich. Honey Chowder. Honey Fischsuppe. Eine Frau mit einem unmöglichen Namen. Eine unmögliche Frau mit einem unmöglichen Namen.»
«Weißt du, was ich sehe, wenn ich dich anschaue, Tom?»
«Das möchte ich lieber nicht wissen.»
«Ich sehe einen großartigen Mann. Das sehe ich. Ich sehe den besten Mann, den ich jemals kennen gelernt habe.»
«Ach?»
«Ja,
ach
. Und weil ich das sehe, wenn ich dich anschaue,habe ich alles hingeschmissen und bin nach Brooklyn gekommen, um ein Teil deines Lebens zu werden.»
«Alles hingeschmissen?»
«Du hast richtig gehört. Das Schuljahr ist vor zwei Tagen zu Ende gegangen, und ich habe gekündigt. Ich bin frei.»
«Aber, Honey, ich liebe dich nicht. Ich kenne dich doch kaum.»
«Das kommt alles noch.»
«Was?»
«Erst wirst du mich kennen lernen. Und dann wirst du mich lieben.»
«Einfach so.»
«Ja. Einfach so.» Sie hielt kurz inne und lächelte. «Wie geht’s übrigens Lucy?»
«Lucy geht es gut. Sie wohnt bei Nathan in der First Street.»
«Der arme Nathan. Der ist dem doch gar nicht gewachsen. Das Mädchen braucht eine Mutter. Von jetzt an wohnt sie bei uns.»
«Du bist dir deiner Sache ja verdammt sicher.»
«Das muss ich ja wohl sein, Tom. Wenn ich mir meiner Sache nicht sicher wäre, wäre ich nicht hier. Dann hätte ich nicht alle meine Koffer draußen im Auto. Dann wüsste ich nicht, dass du der Mann meines Lebens bist.»
Nun fand ich, die beiden hätten genug miteinander geredet, und ließ Lucy aus unserem Versteck. Sofort rannte sie los, direkt auf Honey zu.
«Da bist du ja, meine Kleine», sagte die Exlehrerin, schlang ihre Arme um unser Mädchen und hob sie vom Boden hoch. Als sie sie schließlich wieder auf die Füße stellte, fragte sie: «Hast du gehört, was Tom und ich gesprochen haben?»
Lucy nickte.
«Und was meinst du dazu?»
«Ich meine, das ist ein guter Plan», sagte Lucy. «Wenn ich bei dir und Onkel Tom wohne, brauche ich nicht mehr immer nur im Restaurant zu essen. Du kochst so leckere Sachen, und die esse ich dann. Und Onkel Nat kann bei uns mitessen, wenn er will. Und wenn du und Onkel Tom mal ausgehen wollt, kann er auf mich aufpassen.»
Honey grinste. «Und du wirst auch schön brav sein? Das netteste Mädchen der Welt?»
«Nein», sagte Lucy und sah sie mit unergründlich ausdrucksloser Miene an. «Ich werde schlecht sein. Das schlechteste, gemeinste, allerböseste kleine Mädchen auf Gottes Erdboden.»
HAWTHORN STREET ODER HAWTHORNE STREET
M onate vergingen. Mitte Oktober hatten die Anwälte ihre Arbeit an Harrys Nachlass abgeschlossen, und Tom und Rufus konnten sich als rechtmäßige Eigentümer von Brightman’s Attic und dem zugehörigen Gebäude betrachten. Tom und Honey waren verheiratet, und Lucy, die sich zum Aufenthalt ihrer Mutter nach wie vor ausschwieg, ging jetzt in die fünfte Klasse der örtlichen Public School 321. Rachel war immer noch mit Terrence zusammen. Eine Woche nach der Wood-Chowder-Hochzeit rief sie mich an und erzählte, dass sie im zweiten Monat schwanger sei.
Ich blieb in der Buchhandlung beschäftigt, aber seit Honeys dramatischem Auftritt Ende Juni teilten wir uns den Job, sodass ich nur noch die Hälfte der Zeit anwesend zu sein brauchte. An freien Tagen schrieb ich weiter meine Anekdoten für das
Buch menschlicher Torheiten
nieder und half, wie Lucy selbst angeregt hatte, gelegentlich als Babysitter aus, wenn Tom und Honey abends einmal ausgehen wollten. In den ersten Monaten kam das naturgemäß häufiger vor. Honey war nach eigener Aussage in ihrem Provinznest schier verkümmert und wollte sich jetzt, da sie nach New York gekommen war, alle Vorteile zunutze machen, die die Stadt zu bieten hatte: Theater, Kino, Konzerte, Ballett, Dichterlesungen, Mondscheinfahrten auf der Staten-Island-Fähre. Ich beobachtete mit Vergnügen, wie der träge, schwerfällige Tom
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