Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
offenbar um seinen eigenen Kram kümmerte und nichts darauf hindeutete, dass irgendjemand herumschnüffelte, war Joel ein bisschen lockerer geworden.
Außerdem war er müde. Er unternahm immer mehr Touren, da die Nachfrage nach dem, was sie verkauften, zusehends stieg. Sie hatten ihm gesagt, dass es so kommen würde, sobald sich herumspräche, wie selten und qualitativ hochwertig ihr Angebot sei. Bis vor kurzem hatten sie nichts transportiert, das nicht bereits verkauft war, aber jetzt hatte Joel Gegenstände geladen, die für den großen Schlussverkauf vorgesehen waren, den »Ausverkauf«, wie sie es bezeichneten. Sie waren sich stets darüber im Klaren gewesen, dass man durch die anfänglichen Verkäufe kleiner Mengen auf sie aufmerksam werden könnte, aber sie waren notwendig, um an Geld zu kommen und den Wert und Umfang dessen, was sie letztlich liefern konnten, zu bestätigen. Jetzt war die große Belohnung in Sicht, aber Joel war der Wegbereiter, und als erst Jewel und dann der Detektiv herumgeschnüffelt hatten, war er ernsthaft nervös geworden. Seine Vorschüsse waren erheblich gestiegen, aber nicht so sehr, wie Joel es gern gesehen hätte, trug doch er allein das gesamte Risiko. Es war zu einem Wortwechsel gekommen. Und weil sie zudem in Sachen Jewel anfangs eine so lässige Haltung eingenommen hatten, war ihm der Kragen geplatzt. Vielleicht hätte er den Mund halten sollen, aber er hatte einfach das Gefühl, dass er recht hatte, deswegen hatte er die Sache überhaupt angesprochen. Es musste einiges zusammenkommen, damit Joel sauer wurde. Er ging nicht so schnell hoch, aber wenn es dazu kam, dann gnade Gott demjenigen, den es traf.
Außerdem hatte er immer öfter Alpträume, und die damit verbundenen Schlafstörungen ließen ihn gegenüber Karen zusehends gereizter werden, was er hasste. Sie war etwas Besonderes, und er war glücklich mit ihr, aber manchmal wusste sie einfach nicht, wann sie schweigen und keine weiteren Fragen mehr stellen sollte. Seit Damien Patchett und die anderen gestorben waren, war sie verändert, vielleicht weil sie befürchtete, dass ihn das gleiche Schicksal ereilen könnte, aber Joel hatte nicht vor, sich das Leben zu nehmen. Dennoch hatte ihn Damiens Tod härter getroffen als die vorherigen Todesfälle: Drei von ihnen waren jetzt tot, drei von seinem alten Trupp, alle von eigener Hand gestorben, aber Damien war der Beste von ihnen gewesen. Das war er immer schon gewesen.
Damien und die anderen erschienen ihm jetzt im Traum, blutig und verstümmelt. Sie sprachen mit ihm, aber nicht auf Englisch. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Es war, als hätten sie im Jenseits eine neue Sprache gelernt. Aber selbst im Traum fragte er sich, ob es wirklich seine alten Waffenbrüder waren, die er da sah. Sie machten ihm Angst, und mit ihren Augen stimmte irgendetwas nicht: Sie waren schwarz und voller Flüssigkeit, wie öliges Wasser. Ihre Leiber waren bucklig und verkrümmt, die Arme zu lang, die Finger dünn und krallenartig …
Herrgott, kein Wunder, dass er angespannt war.
Wenigstens neigten sich die Grenztouren dem Ende zu. Er hatte sorgfältig darauf geachtet, sich die Zollbeamten und die Gorillas vom Heimatschutz gewogen zu machen. Seine Nummernschildhalterung wies ihn als Veteranen aus, desgleichen die Aufkleber und Abziehbilder im Führerhaus. Er trug eine Baseballkappe der Army und hörte sich die Geschichten der älteren Veteranen an, die jetzt Dienst an der Grenze schoben. Er steckte ihnen ab und zu eine Schachtel Zigaretten zu und spielte, wenn nötig, sogar auf seine Verwundungen an, und im Gegenzug ebneten sie ihm den Weg. Die anderen hatten keine Ahnung, wie hart er an seinem Image gearbeitet hatte und in welchem Ausmaß das Gelingen ihrer Unternehmung von ihm abhing.
Da ihm all das durch den Kopf ging, hatte er dem Auto hinter ihm nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie er es hätte tun sollen. Als es ihn überholte, war er froh, aber so reagierte jeder Sattelzugfahrer, wenn ein anderer Wagen zu dicht auffuhr. Man wusste, dass sie irgendwann versuchen würden, einen zu überholen, und konnte nur hoffen, dass sie es vernünftig machten. Na ja, es gab auch Trucker, die gern mit ungeduldigen Fahrern spielten, und andere, die der Ansicht waren, sie wären die größten und schlimmsten Hundesöhne auf der Straße, und wenn man sich mit ihnen anlegte, war man fällig. Joel war nie so gewesen, nicht einmal, bevor er mit den Grenztouren angefangen hatte, bei denen man
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