Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
Vom Netzwerk:
sich in ein heruntergekommenes Motel am Waldrand zurückgezogen und versuchte dort seine Dämonen allein zu bekämpfen, nur mit Hilfe von Alkohol und Fertiggerichten aus der Mikrowelle.
    Tobias hatte nie geglaubt, dass er selbst unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Klar, er konnte nur schwer ausspannen und musste sich immer noch beherrschen, um beim Knallen von Feuerwerkskörpern oder der Fehlzündung eines Autos nicht zusammenzuzucken. Es gab Tage, an denen er nicht aufstehen, und Abende, an denen er nicht ins Bett gehen wollte, die Augen nicht schließen wollte aus Angst vor dem, was kommen könnte, und das war schon vor den jüngsten Alpträumen so gewesen. Aber posttraumatische Belastungsstörung? Nein, er doch nicht. Na ja, jedenfalls keine schwere, bei der man sich zudröhnen musste, bis es einem wie verfärbter Schweiß aus den Poren quoll, nur um über den Tag zu kommen, keine, bei der man grundlos weinte oder seine Frau schlug, weil sie den Speck verbrannt oder dein Bier verschüttet hatte.
    Nein, so was nicht.
    Noch nicht, aber es hat angefangen. Du schlägst zu, nicht wahr?
    Er blickte sich im Führerhaus um, war überzeugt davon, dass jemand gesprochen hatte, meinte eine Stimme gehört zu haben, die ihm seltsam bekannt vorkam. Er verriss das Lenkrad ein wenig und spürte, wie sein Herzschlag einen Takt aussetzte, bevor er zurücksteuerte, da er befürchtete, mit dem Sattelzug von der Straße abzukommen, auf der Böschung umzukippen und im Führerhaus eingeklemmt zu werden, und das fast in Sichtweite des Motels.
    Noch nicht.
    Woher war diese Stimme gekommen? Und dann erinnerte er sich: Ein Lagerhaus mit rissigen Wänden und undichtem Dach, teils die Folge der Bombenangriffe, teils wegen der schludrigen Arbeit beim Bau. Dazu ein Mann, jetzt kaum mehr als Haufen aus blutigem Stoff, dessen Augen bereits brachen. Tobias stand über ihm und hatte den Lauf seines M4-Karabiners, der Waffe, die den Mann zerfetzt hatte, ruhig auf den Kopf des Kämpfers gerichtet, als ob diese Flickenpuppe noch eine Gefahr für ihn darstellen könnte.
    »Nimm es, nimm alles. Es gehört dir.« Die blutbefleckten Finger deuteten auf die Kisten und Kartons, die verhüllten Statuen, die das Warenhaus füllten. Tobias wunderte sich, dass er überhaupt noch sprechen konnte. Er musste vier, fünf Kugeln im Leib haben. Doch da war er, wedelte mit der Hand im Strahl der Taschenlampe, als ob es ihm zustünde, hier irgendetwas herzugeben oder zu behalten.
    »Danke«, sagte Tobias, und er spürte, wie er höhnisch den Mund verzog, hörte seinen spöttischen Unterton und schämte sich. Er hatte sich vor dem Sterbenden erniedrigt. Tobias hasste ihn, hasste ihn wie alle seinesgleichen. Sie waren Terroristen, Hadschis. Ob Sunniten oder Schiiten, Ausländer oder Iraker, letzten Endes waren sie alle gleich. Es spielte keine Rolle, wie sie sich nannten, ob al-Qaida oder sonst wie, lauter blödsinnige Namen, aufs Geratewohl aus einem Haufen Phrasen zusammengestoppelt, wie die magnetischen Worte, die man an den Kühlschrank heften und zu schlechter Lyrik zusammensetzen konnte: Siegreiche Märtyrer der Dschihadbrigade, Unbezwingbare Widerstandsfront des unsichtbaren Imam, alle austauschbar, alle gleich. Hadschis, Terroristen.
    Dennoch stellte der bevorstehende Tod in solchen Momenten eine Nähe her, egal ob man ihn gab oder empfing, und er hatte gerade gegen das Protokoll verstoßen und wie ein mürrischer Teenager geantwortet, nicht wie ein Mann.
    Der Hadschi lächelte, und obwohl Mund und Zähne voller Blut waren, war noch etwas Weißes zu sehen.
    »Danke mir nicht«, sagte er. »Noch nicht …«
    Noch nicht . Das war die Stimme, die er gehört hatte, die Stimme des Mannes, dem man versprochen hatte, dass im Jenseits Jungfrauen auf ihn warteten, die Stimme des Mannes, der gekämpft hatte, um den Inhalt des Lagerhauses zu verteidigen.
    Gekämpft hatte er, aber nicht hart genug. Genau das hatte Damien zu ihm gesagt: Sie haben gekämpft, aber nicht so hart, wie sie es hätten tun sollen.
    Warum?
    Das Motel kam in Sicht. Zu seiner Linken sah er die Reihe der mit Brettern vernagelten Zimmer und erschauderte. Hier gruselte es ihn immer. Kein Wunder, dass Proctor so geworden war, wenn er sich hier verkroch, hinter ihm nichts als Baumstämme und vor ihm sein Erbteil, diese Bruchbude. Man konnte sich diese Zimmer kaum anschauen, ohne sich die unsichtbaren Gäste vorzustellen, die unerwünschten Gäste, die sich hinter den Wänden bewegten.

Weitere Kostenlose Bücher