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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Vielleicht waren es die mysteriösen Umstände von Jonathans Tod, die seine Neugier geweckt hatten und ihn nun sogar dazu brachten, die Nacht in dieser unheimlichen, düsteren Umgebung zu verbringen. Vielleicht war es die Gelegenheit, seinem Onkel endlich zu beweisen, was in ihm steckte.
    Sir Walter hatte schon so viel für ihn getan – und dies war eine Möglichkeit, sich dafür erkenntlich zu zeigen. Quentin war sicher, dass sein Onkel erst dann wieder Ruhe finden würde, wenn die Umstände von Jonathans Tod lückenlos geklärt waren. Wenn er etwas dazu beitragen konnte, dann wollte er es tun, egal wie unangenehm die Umstände auch sein mochten.
    Der junge Mann vermied es, sich in der von schummrigem Kerzenlicht beleuchteten Bibliothek umzusehen. Wenngleich seine schriftstellerischen Fähigkeiten zu wünschen übrig ließen, verfügte er doch über eine ausufernde Fantasie, die ihn überall in den dunklen Gassen und Nischen, die sich zwischen den Regalen auftaten, schemenhafte Gestalten sehen ließ – die gleichen Phantome, die jedes Kind in dunklen Nächten zu sehen glaubte und die Quentin nie wirklich losgeworden war.
    Er erinnerte sich, dass sein Onkel ihn einmal amüsiert gefragt hatte, ob er denn an Gespenster glaube. Natürlich nicht, hatte Quentin verneint, schließlich hatte er sich vor seinem Onkel nicht lächerlich machen wollen. Aber insgeheim wusste er, dass er gelogen hatte. Der junge Mann war überzeugt davon, dass es einige Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die sich mit rationalen Mitteln nicht erklären ließen, und eine verlassene, nur unzureichend beleuchtete Halle, die bis unter die Decke mit uralten Schriften und Büchern angefüllt war, war durchaus dazu angetan, diesen Glauben noch zu beflügeln.
    »Ich muss mich konzentrieren«, rief Quentin sich den obersten Grundsatz ins Gedächtnis zurück, den sein Onkel ihm beigebracht hatte. »Der Verstand bringt Licht in die Dunkelheit, heller als jeder Feuerschein.« Es klang nicht sehr überzeugt, doch es beruhigte ihn, seine eigene Stimme zu hören. Beherzt griff er nach dem Kerzenleuchter und seinem Schreibzeug und ging wieder nach oben, um seine Arbeit fortzusetzen.
    Ein Teil der Bücher des Archivs war von den Mönchen bereits katalogisiert worden. Das bedeutete, dass die Bücher mit fortlaufenden Signaturen versehen worden waren, nach denen sie in den Regalen einsortiert waren. Wenn hier ein Buch entwendet worden war, ließ sich das sehr leicht feststellen – der Dieb konnte ja unmöglich alle anderen Signaturen geändert haben. Allerdings kam es in Anbetracht der unzähligen Bände, die im Archiv von Dryburgh lagerten, einer herkulischen Aufgabe gleich, sämtliche Signaturen zu sichten und auf ihre Vollständigkeit zu prüfen. Und wenn der Dieb nicht so dumm gewesen war, ein registriertes Exemplar zu entwenden, sondern eines aus dem unkatalogisierten Bereich der Bibliothek, würde man ihm ohnehin nie auf die Schliche kommen.
    Im flackernden Schein der Kerze schritt Quentin das nächste Regal ab. Die Signaturen umfassten mehrere römische Zahlen und Schriftzeichen, die nicht leicht zu merken waren. Sie zu verfolgen erforderte höchste Konzentration, sodass der junge Mann seine unheimliche Umgebung darüber fast vergaß.
    Eine vorspringende Diele, deren feuchtes Holz sich verzogen hatte, brachte sie ihm jäh wieder ins Gedächtnis.
    Quentin blieb mit der Stiefelspitze hängen und kippte nach vorn, und noch ehe er reagieren und sich irgendwo festhalten konnte, schlug er bäuchlings auf den Boden. Es krachte dumpf, als er auf den alten Bohlen landete, die bedenklich unter seinem Gewicht ächzten. Der Kerzenleuchter, den Quentin vor Schreck losgelassen hatte, traf so unglücklich auf, dass er entzweiging.
    Ihrer Halterung beraubt, rollte die noch brennende Kerze über den Boden, der an dieser Stelle leicht abfiel. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah Quentin sie davonkullern.
    »Nein!«, schnappte er, als gälte es, die ungezogene Flamme zurechtzuweisen. Hastig und auf allen vieren kroch er der Kerze hinterher.
    Panik packte ihn dabei. Wenn eines der Regale Feuer fing, würden die Flammen in Sekundenschnelle um sich greifen. Das mit Öl behandelte Pergament würde wie Zunder brennen, ebenso wie das jahrhundertealte Papier. Von allen Tölpeleien und Nachlässigkeiten, die Quentin je begangen hatte, würde dies mit Abstand die fürchterlichste sein.
    »Nein«, jammerte er, als er sah, dass die Kerze unter eines der Regale rollte. Der junge

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