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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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karge Landschaft zerschnitten. Die Sonne war bereits aufgegangen, aber keiner ihrer Strahlen fiel in Marys Gemach; auch der Burghof sah aus wie am Tag zuvor, düster und dunkel, und nur wenige Diener und Mägde waren zu sehen. Fast hätte man glauben können, Leben und Licht machten einen Bogen um dieses alte Gemäuer, aber natürlich wusste Mary, dass das nur Einbildung war.
    Ruthven war nur ganz anders, als sie es erwartet hatte, vor allem dann, wenn sie es mit Walter Scotts Landsitz Abbotsford verglich – keine steinerne Romanze, sondern ein gemauerter Grabgesang. Dort blühten Blumen, waren Licht und Freundlichkeit zu Hause, während all dies hier fremd zu sein schien.
    Mary ertappte sich dabei, dass sie sich nach Abbotsford zurückwünschte, und sie schalt sich eine Närrin, da sie sich in naiven Wunschvorstellungen verlor. Auch das musste an dem sonderbaren Traum liegen, den sie gehabt hatte. Offenbar hatte er sie mehr in Verwirrung gestürzt, als sie sich selbst eingestehen wollte.
    Energisch schob sie die Erinnerung daran beiseite und widmete sich wieder der Gegenwart. Nicht der Vergangenheit musste ihre Aufmerksamkeit gelten, sondern der Zukunft. Der Wirklichkeit, nicht den Träumen.
    Wie hätte sie auch wissen sollen, dass sich mehr dahinter verbarg, als sie oder irgendjemand sonst auf Erden ahnen konnte?
    Kitty half Mary dabei, sich anzukleiden und für das Frühstück zurechtzumachen. Von Egton her war Mary es nicht gewohnt, bereits zur ersten Mahlzeit des Tages in Damast zu erscheinen. Auf Ruthven hingegen schien es so üblich zu sein, und sie wollte zeigen, dass sie die Gepflogenheiten ihres neuen Zuhauses schätzte und respektierte.
    Eleonore hatte angekündigt, dass Mary Punkt neun Uhr von einem der Diener abgeholt würde. Der Schlag der Standuhr war noch nicht verklungen, als es zaghaft an die Tür des Gemachs klopfte.
    »Lady of Egton?«
    »Ja?«, fragte Kitty durch die Tür.
    »Die Herrin hat zum Frühstück gerufen.«
    Auf ein Nicken Marys öffnete Kitty die Tür. Draußen stand ein Diener, der eine schwarze Livree mit silbernen Borten trug. Der Mann, der um die vierzig Jahre alt sein mochte, hatte schütteres Haar und eine krumme Nase. Vor allem aber fiel Mary auf, dass er seltsam gebückt ging, wie jemand, der fürchtete, dass jeden Augenblick ein schreckliches Unglück über ihn hereinbrechen könnte.
    Demütig senkte er den Blick und beugte sich noch weiter hinab. »Lady of Egton«, wiederholte er die Einladung, »die Herrin hat zum Frühstück gerufen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    »Gern«, sagte Mary und lächelte. »Wie heißt du, mein Freund?«
    »S… Samuel«, kam die Antwort verstohlen. »Aber mein Name tut nichts zur Sache, Mylady. Einzig meine Arbeit ist es, die Ihnen meine niedere Anwesenheit erträglich machen soll.«
    Der Ton, in dem er das sagte, und der Blick der grauen Augen hatten etwas Mitleiderregendes. Kitty kicherte leise, und auch Mary konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ich bin gern bereit, den Sitten und Gebräuchen zu folgen, die hier auf Burg Ruth vorherrschen«, sagte sie, »aber ich kann mir nicht denken, dass es verboten sein soll, einen Diener bei seinem Namen zu rufen, mein lieber Samuel. Also ängstige dich nicht, sondern zeige mir lieber den Weg zum Frühstückssalon.«
    »Wie Mylady wünschen«, sagte der Diener und verbeugte sich erneut, und von unten herauf sandte er Mary einen verstohlenen Blick. »Gott schütze Sie, Mylady.«
    Damit wandte er sich um und verließ das Gemach. Mary folgte ihm, Kitty blieb zurück. Sie hatte ihr Frühstück bereits zu früher Stunde mit den anderen Zofen und Kammerdienern eingenommen.
    Samuel führte Mary durch einen langen, aus Natursteinen gemauerten Gang. Da es nirgendwo Fenster gab, mussten auch am Tag Kerzen angezündet werden, die einen düster flackernden Schein verbreiteten.
    »Wohin führt dieser Weg, Samuel?«, fragte Mary, als sie einen Gang kreuzten, in dem eine Treppe steil nach oben führte.
    »In die Gemächer des Lairds«, erwiderte der Diener eingeschüchtert. Sein Blick verriet Misstrauen.
    »Dann ist er von der Jagd zurückgekehrt?«, fragte Mary, die sich erinnerte, dass die Tür zu dem Gang am Vorabend verschlossen gewesen war.
    »Ja, Mylady. Die Jagd war gut und erfolgreich. Der Laird hat endlich den Hirsch erlegt, den er schon so lange verfolgt hat.«
    »Und diese Tür?«, fragte Mary, als sie eine weitere Kreuzung passierten.
    Erneut blickte der Diener sie verunsichert an. »Mylady

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