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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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Neuen verflogen war, wurde ihm klar, dass es eine Sache war, den Ausblick in seiner Gänze zu bewundern, aber eine ganz andere, ein einzelnes Gebäude darin auszumachen, von dem sie nicht einmal wussten, wo es war oder wie es aussah.
    Abdul zuckte mit den Achseln. »Man muss nur das Problem zerlegen.«
    »Zerlegen? Wie meint Ihr das?«
    Der Sarazene streckte seine Arme vor sich aus, sodass sie ein Dreieck bildeten. »Das Haus, das wir suchen, müsste in diesem Teil der Stadt liegen, und zwar innerhalb eines Dreiecks, das seine Spitze hier an der Stelle hat, wo wir uns befinden, und die Grundlinie zwischen Porta San Felice und Porta Lame.« Er wandte sich zu Gerardo um, als wollte er sich versichern, dass der ihn verstanden hatte, um dann fortzufahren: »Jetzt zieht eine gedachte Linie, die das Dreieck in der Mitte teilt, und sucht Euch einige Gebäude als Bezugspunkte.«
    »Fertig«, sagte Gerardo, nachdem er sich einige der höchsten Häuser auf der Mittellinie gemerkt hatte.
    »Gut. Ich werde jetzt nacheinander die Häuser in der linken Hälfte des Dreiecks überprüfen. Ihr tut das Gleiche mit der rechten Seite. Meint Ihr, dass Euch das gelingt?«
    »Sicher«, erwiderte Gerardo. »Das ist nur eine Frage von Zeit.«
    »Seht Ihr, das meinte ich damit, dass man ein Problem zerlegen muss«, sagte Abdul. »Diesen Kunstgriff hat mir Meister Michele beigebracht.«
    Gerardo sagte nichts weiter, und sie machten sich daran, die Dächer und Wände der Häuser eingehend zu betrachten, die in diesem Licht eher grau wirkten als rot und ockerfarben, was ihre eigentlichen Farben waren. In den geschütztesten Winkeln waren kleine Schneehaufen liegen geblieben, und von vielen Simsen hingen lange, spitze Eiszapfen herunter.
    Aus dem Dächerwald erhoben sich zahlreiche Geschlechtertürme, unter ihnen der Turm der Prendiparte, der Turm der Scappi neben der Kathedrale San Pietro und der Turm der Ghisilieri, wo im Augenblick Michele trotz seiner Blindheit die Bauarbeiten leitete. Wenn man den Blick ein wenig senkte, sah man die großen Palazzi zahlreicher bedeutender Familien und darunter das Häusermeer, in dem die Handwerker und Arbeiter wohnten. Das Gebäude, in dem der tote Baumeister gearbeitet hatte, musste zur zweiten Gruppe gehören.
    Gerardo erkundete mit den Augen sämtliche Dächer in seiner Hälfte des Dreiecks, von der Metzgerei der Zunft der Fleischer direkt unterhalb des Turms bis zur Gegend rechts der Kathedrale. Es gab viele Altane und Dachterrassen, und auf einigen sah man auch kleine immergrüne Pflanzen, aber keine, die an einen Weingarten erinnerten. Als er über die Kathedrale hinaus und ein wenig nach rechts schaute, blieb sein Blick auf einmal an etwas Seltsamem hängen. Eine graue Fläche, die sich erst bei genauerem Hinsehen als Stoff herausstellte.
    Ohne den Blick abzuwenden, stieß Gerardo Abdul mit dem Ellbogen an und zeigte ihm das Gebiet, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
    »Ich sehe nichts«, sagte der Sarazene.
    »In der Gegend rund um das Märtyrerkreuz«, erklärte Gerardo und starrte weiter geradeaus. »Tücher aus Hanfstoff, die über eine große Terrasse gespannt sind, als sollten sie etwas schützen.«
    Abdul sah genauer hin. »Ich sehe sie«, sagte er dann. »Ja und?«
    »Wenn Ihr genauer hinschaut, erkennt man darunter eine grüne Masse. Diese Tücher sollen Pflanzen vor der Kälte schützen.«
    »Grün? Aber Weinstöcke müssten im Dezember doch kahl sein«, wandte Abdul ein.
    »Vielleicht handelt es sich ja auch nicht um Weinstöcke. Wir wissen nur, was ein Lehrling seinem Maurermeister erzählt hat, der es einem anderen Maurer anvertraut hat und der wiederum Euch. Auf dem Weg kann sich die Erzählung ziemlich verändert haben.«
    Schweigen folgte, in das sich nur das Rauschen des Windes mischte.
    »Wie dem auch sei, es ist das einzig Seltsame, das wir ausgemacht haben«, sagte der Sarazene schulterzuckend. »Dann können wir es genauso gut erfassen und gehen.«
    Er nahm die mitgebrachte Ledertasche von der Schulter, setzte sie behutsam auf dem Boden ab und holte etwas heraus, das Gerardo in den Händen eines Sarazenen am wenigsten erwartet hätte.
    »Ein Kreuz?«, fragte er ungläubig.
    »Ihr nennt es Gradstock oder Jakobsstab«, antwortete Abdul. »Nach dem Namen des provenzalischen Juden, der es erfunden haben soll. Aber tatsächlich ist dieses Instrument meinem Volk schon seit Ewigkeiten bekannt.«
    »Mich interessiert nicht, wer es erfunden hat«, sagte Gerardo. »Hauptsache, es

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