Die Bruderschaft des Feuers
nicht riskieren, alles mit einer unbesonnenen Bemerkung zu zerstören. Dennoch hatte er nicht vergessen, dass er Fedrigo Guidi dabei beobachtet hatte, wie er sich leise mit Viviana unterhielt. Es hätte ihn nicht verwundert, wenn der das Mädchen beauftragt hätte, in seinem Haus herumzuschnüffeln.
»Ich verstehe«, sagte er und steckte den Finger in sein eisernes Tintenfass auf dem Tisch, um dann festzustellen, dass die Tinte hart und trocken geworden war. »Und hat sie für etwas Bestimmtes Interesse gezeigt?«
»Ja. Dieser Raum hatte es ihr buchstäblich angetan«, sagte Gabardino und beschrieb mit einer ausholenden Handbewegung das ganze Arbeitszimmer. »Sie hat alles sehen, alles berühren wollen. Sogar die menschlichen Gebeine, die Ihr in dieser kleinen Truhe aufbewahrt.«
Mondino schreckte zusammen. »Ich werde sie verschwinden lassen«, sagte er umgehend. »Zur Sicherheit.«
»Verschwinden lassen? Darf ich erfahren, wovor Ihr Euch fürchtet?«
»Anklagen wegen Hexerei, Ketzerei, schmutziger Praktiken … Innerhalb und außerhalb der Universität habe ich viele Feinde, die zu allem bereit sind, nur um mich aus dem Weg zu räumen.«
»Aber Ihr habt mir doch erzählt, dass dies die Gebeine von Selbstmördern sind. Ihr habt sie ganz ordnungsgemäß auf einen Antrag beim Magistrat hin erhalten.« Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. »Ihr habt mich doch nicht angelogen, oder?«
Mondino war drauf und dran, ihm die Wahrheit zu sagen. Es gelang ihm nicht immer, sämtliche Dinge, die er für seine Forschung brauchte, auf offiziellem Wege zu erhalten. Aber er wusste, dass sein Sohn dies nicht geduldet hätte.
»Darum geht es nicht«, erklärte er. »Wie du weißt, wird das Studium der Anatomie äußerst misstrauisch beäugt. Schließlich schneidet man mit dem Messer die anbetungswürdigste Schöpfung Gottes auf, und das allein ist für viele schon ein Sakrileg. Und wenn man menschliche Knochen im Haus hat, wird das von niemandem gern gesehen.«
»Wenn man Euch anklagte, könntet Ihr leicht Eure Unschuld beweisen.«
»Solltest du angeklagt werden, dass du einen deiner Kunden durch eine falsch verabreichte Arznei vergiftet hast«, erwiderte Mondino, »und danach deine Unschuld beweisen können, glaubst du wirklich, dass dein Ruf als Arzneikundiger dadurch keinen Schaden erlitte? Verleumdung ist ein mächtiges Mittel.«
Gabardino stöhnte laut auf. »Vater, Ihr seid einer der berühmtesten Ärzte unserer Zeit. Niemand wird Euch anklagen, ein Hexenmeister zu sein.«
Mondino begriff, dass sein Sohn ein schlechtes Gewissen hatte, weil er der jungen Frau die Knochen gezeigt hatte, und nun wollte er ihm beweisen, dass es bloß ein unbedeutender Fehler gewesen war. Es schmerzte ihn, seinem Sohn widersprechen zu müssen, aber er konnte nicht riskieren, dass er weiter so leichtfertig handelte. »Das ist möglich. Aber es steht nun einmal fest, dass Azzone Lamberti, der Edelmann, der mir den Zimmermann ins Haus gebracht hat, einer meiner unerbittlichsten Feinde ist. Sein Vetter Fedrigo – der, der aussieht wie ein Rabe – ist einer der besten Anwälte von ganz Bologna. Wir dürfen ihnen keinen Angriffspunkt bieten.«
»Warum hat er den Verletzten dann zu Euch gebracht, wenn er Euer Feind ist?«
»Genau das frage ich mich auch. Bevor Fedrigo gegangen ist, hat er sich leise mit Viviana unterhalten, und ich wüsste zu gern, was sie einander erzählt haben.«
»Fragt sie doch. Sie ist ein anständiges Mädchen, ich glaube kaum, dass sie Euch nicht freimütig antworten wird.«
»Das habe ich schon getan, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nicht aufrichtig war. Und dann erfahre ich, dass du ihr diese Knochen gezeigt und sie kurz davor ertappt hast, wie sie dein Zimmer durchsucht hat.«
»Sie hat es nicht durchsucht. Sie hatte sich nur verirrt. Außerdem gibt es in meinem Zimmer nichts Verdächtiges.«
Mondino beschlich der Verdacht, dass die blauen Augen des Mädchens seinen Sohn mehr beeindruckt hatten, als dieser glaubte.
»Dein Schlafzimmer ist das größte im ganzen Haus. Es war das Zimmer deiner Großeltern, das einzige im ersten Stock mit einer Tür, und sie hat sich ausgerechnet dorthin verirrt und sogar die Tür hinter sich geschlossen.«
»Werdet doch einmal deutlicher. Warum hätte Viviana mein Zimmer durchsuchen sollen? Da wäre es doch viel logischer, wenn sie Eures durchsucht hätte.«
»Genau das meine ich ja! Sie kennt das Haus nicht, geht ins obere Stockwerk und betritt das größte
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