Die Bruderschaft des Feuers
…«
»Euretwegen wäre ich beinahe umgebracht worden!«, polterte Gerardo los, der seine Wut kaum zügeln konnte.
»Bei dem Gedanken daran habe ich die ganze Nacht wach gelegen«, erwiderte der Sarazene. »Nur eins erleichtert mich, dass es mir gelungen ist, dies zu verhindern.« Er holte tief Luft und fuhr fort: »Ihr werdet Meister Michele doch nichts davon erzählen, oder?«
»Im Augenblick kann ich Euch nur versprechen, dass ich Euch oben nicht vom Turm stoßen werde. Und zwar nicht etwa, weil ich das nicht mit dem größten Vergnügen tun würde, sondern weil ich Euch noch brauche.«
Sie setzten ihren Weg fort. Abdul machte zwei oder drei Versuche, die Unterhaltung wiederaufzunehmen, aber Gerardo versenkte sich in düsteres Schweigen, und schließlich gab der andere auf.
Als sie vor dem Turm standen, zeigte der Sarazene die Erlaubnis mit der Unterschrift des Richters und dem Siegel der Stadt vor. Die diensthabenden Wachen ließen sie die Sprossenleiter hochklettern, die zum Eingang des Turmes auf einer gewissen Höhe über dem Boden führte. Einmal im Innern begannen sie die Holzstufen hinaufzusteigen, die nach oben führten. Sie kamen durch verschiedene Stockwerke, alle menschenleer, bis auf eines auf etwa der Hälfte des Turmes, wo drei Soldaten auf dem rohen Holzboden saßen und würfelten und ein vierter ein paar Schritte weiter lag und schlief, seinen Mantel wie eine Decke über sich gebreitet. Bei ihrer Ankunft verbargen die Spieler blitzschnell Würfel und Würfelbecher. Abdul erklärte, wer sie waren und wohin sie wollten, und einer der drei gab ihnen ein Zeichen, ihren Weg fortzusetzen.
Je höher sie stiegen, desto schmaler wurde der Turm. Gerardo fragte sich, wie hoch er wohl sein mochte. Er sah zum ersten Mal einen Geschlechterturm von innen, und er hatte sich etwas völlig anderes vorgestellt als diese endlosen Treppenabsätze, die durch Holzdielen getrennt waren und nur durch einige wenige Fensterscharten und Fackeln an der Wand erhellt wurden.
»Wir sind da«, sagte Abdul plötzlich und überquerte den Absatz, der zur letzten Treppe führte.
Beide beschleunigten den Schritt und öffneten kurz darauf die kleine Tür, die auf eine mit Zinnen umrandete Terrasse auf der Spitze des Turms ging. Dort schlug ihnen ein Wind von unerwarteter Heftigkeit entgegen. Um die Terrasse betreten zu können, mussten sie leicht gebückt laufen und sich so weit wie möglich im Schutz der Brüstung halten.
Da bemerkte Gerardo, dass der Turm schwankte.
»Er bricht gleich zusammen!«, schrie er.
»Das kommt nur vom Wind«, beruhigte ihn Abdul. »Durch das Schwanken kann der Turm besser standhalten.«
»Doch wie können wir so verrichten, was wir uns vorgenommen haben? Bei diesem Wind kann man sich doch nicht hier hinauslehnen!«
»Ihr vielleicht nicht. Ich bin daran gewöhnt.«
Mit diesen Worten richtete er sich auf, durchquerte entschieden die Terrasse und stellte sich an die westliche Seite des Turms. Gerardo fühlte, wie der Boden unter seinen Füßen schwankte, aber er fasste sich ein Herz. Er sagte sich, es sei bestimmt nicht viel anders, als auf der Brücke eines Schiffes zu laufen, und als er dem Beispiel des Sarazenen folgte, stellte er fest, dass es viel einfacher war, als er geglaubt hatte.
Als er schließlich neben ihm stand, Schulter an Schulter zwischen zwei Zinnen der Brüstung, raubte ihm der Anblick den Atem.
Unter ihnen breitete sich ein Meer flaumiger Wolken aus, aus dem, wie der alte Mann vorhergesagt hatte, die Türme und die höheren Gebäude herausragten. In diesem Moment sah man auch ein Stückchen vom Mercato di Mezzo, mit dem Fluss Aposa, der von hier wie eine Bleischnur aussah, und den Ständen, zwischen denen Männer, Frauen und Pferde sich klein wie Ameisen bewegten. Es war schade, dass es so neblig war, doch andererseits hatte die Aussicht auf Dächer und Türme, die auf einer Art weißlichem Dampf zu schweben schienen, etwas Magisches.
»Beeilen wir uns«, sagte Abdul, der sich sichtbar unwohl fühlte. »Ich möchte Meister Michele nicht allzu lange allein lassen.«
»Was genau müssen wir tun?« Gerardo hatte sich schon so an das Schwanken gewöhnt, dass er es kaum noch bemerkte. Der Wind ließ ihre Gewänder flattern, und um einander zu verstehen, mussten sie lauter sprechen als gewöhnlich, aber das war auch schon alles.
»Zunächst müssen wir das Haus finden. Alles Übrige erledige dann ich.«
»Aber das ist unmöglich«, protestierte Gerardo. Jetzt, da der Reiz des
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